Autoindustrie

Den USA droht eine Streikwelle

Die Auto-Gewerkschaft droht damit, den Streik auszuweiten.
Die Auto-Gewerkschaft droht damit, den Streik auszuweiten. IMAGO/Mandi Wright
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Nach gescheiterten Lohnverhandlungen rief die US-Gewerkschaft UAW in den Ausstand bei den Detroiter „Big Three“. Der Arbeitskampf dürfte teuer werden.

Wien. Shawn Fain kommt aus einer Gewerkschafterfamilie. Schon seine Großeltern arbeiteten für General Motors und waren Gewerkschaftsvertreter. Er selbst begann als Elektriker bei Chrysler und trat im selben Jahr der Autogewerkschaft UAW (United Auto Workers) bei. Heute, 29 Jahre später, ist der 54-Jährige Präsident der mächtigen Gewerkschaft. Dem Vernehmen nach zitiert er gern aus der Bibel. Und er scheut keine harten Worte: Man müsse den Arbeitgebern zeigen, „dass wir den Mist und Schrott satt haben, mit dem sie uns abspeisen wollen“, sagte er im August im Streit um höhere Löhne. Nun platzten die Verhandlungen. Und die Gewerkschaft blies zum Großstreik. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte bestreikt sie die drei großen in Detroit ansässigen Autokonzerne gleichzeitig: General Motors, Ford und die Stellantis-Marke Chrysler.

Zwei Jahre nachdem als Folge der Lieferkettenprobleme die US-Autobauer ihre Produktion drosseln mussten, bremsen nun Arbeitsniederlegungen die Herstellung. Zunächst seien nur „begrenzte und gezielte“ Streiks geplant. UAW-Chef Fain schloss aber nicht aus, dass es flächendeckende Streiks der knapp 150.000 Gewerkschaftsmitglieder geben könnte. Der Arbeitskampf könnte sich zu einem der größten seit Jahrzehnten ausweiten, droht die Gewerkschaft.

Der Hintergrund sind Verhandlungen über höhere Löhne und Arbeitsbedingungen. Diese waren in der Nacht auf Freitag zunächst gescheitert. Die Gewerkschaft wollte zuletzt eine Erhöhung der Einkommen um 36 Prozent, verteilt über vier Jahre. Ursprünglich hatte sie 40 Prozent gefordert. Mit dem Argument, dass in dieser Größenordnung die Einkommen des Top-Managements der großen Autobauer zugelegt hätten. Die Konzerne boten zuletzt Gehaltserhöhungen von bis zu 20 Prozent verteilt auf viereinhalb Jahre.

Es geht aber vor allem auch um den Übergang vom Verbrenner- zum Elektromotor. Die Gewerkschaft pocht auf einen größeren Anteil an den Gewinnen aus dem Geschäft mit Verbrenner-Autos und mehr Arbeitsplatzsicherheit. Gerade die alteingesessenen amerikanischen Automobilkonzerne würden mit ihren Elektroautos aber noch deutliche Verluste schreiben „und werden ihre Strukturen perspektivisch anpassen müssen“, sagt der Autoexperte Frank Schwope. Allerdings wandle sich der amerikanische Automarkt auch deutlich langsamer als der europäische und auch als der chinesische.

Die Konkurrenz profitiert

Die Gewerkschaft will außerdem die gestaffelten Lohnsysteme abschaffen, laut denen neu eingestellte Arbeitnehmer erst nach acht Jahren auf das gleiche Gehaltsniveau kommen wie altgediente. Die UAW vertritt knapp 150.000 Beschäftigte in der Autoindustrie: 57.000 bei Ford, 46.000 bei General Motors und 43.000 bei Chrysler. Alles läuft auf einen Machtkampf hinaus, bei dem es vor allem darum geht, wer den längeren Atem hat: Laut dem Analysten Garrett Nelson von CFRA Research würden die Bilanzen der „Detroit Three“ vor Bargeld nur so strotzen. „Sie können die Sache wahrscheinlich länger aussitzen als die Arbeiter.“ In der Streikkasse der Gewerkschaft befinden sich 825 Mio. Dollar. Daraus bezahlen sie jedem streikenden Mitglied 500 Dollar in der Woche.

Der Streik bringt die drei großen Autobauer in Bedrängnis: Je länger die Produktion stillsteht, desto stärker könnten Konkurrenten wie Tesla, Toyota, Honda und Mercedes vom Ausstand profitieren. Ihre Werke sind nicht gewerkschaftlich organisiert.

Der Arbeitskampf hatte zunächst in der Nacht auf Freitag im GM-Werk in Missouri, einem Stellantis-Werk in Ohio und einer Ford-Fabrik in Michigan begonnen, mit insgesamt 12.700 Beschäftigten. Betroffen sind mehrere populäre Modelle wie der Jeep Wrangler. Die Gewerkschaft warnte aber vor einer Ausweitung des Streiks, sollte es keine Einigung in den Lohnverhandlungen geben: „Wenn wir aufs Ganze gehen müssen, werden wir das tun“, sagte UAW-Chef Fain. Dass alle drei großen in Detroit ansässigen Autobauer gleichzeitig bestreikt werden, ist eine Premiere. Früher wurde in der Regel nur mit einem Konzern verhandelt. Laut einer Berechnung der Deutschen Bank könnte ein kompletter Streik jeden der drei Autobauer bis zu 500 Millionen Gewinn kosten – pro Woche. Der bisherige Tarifvertrag war in der Nacht auf Freitag ausgelaufen.

„Notfallmodus“ bei Stellantis

GM zeigte sich enttäuscht über die Streiks und kündigte an, die Verhandlungen fortzusetzen. Ein ranghoher GM-Manager hatte im Vorfeld gesagt, die UAW-Forderungen würden GM 100 Milliarden Dollar kosten. Das sei mehr als das doppelte des Börsenwerts des Konzerns und könne unmöglich kompensiert werden. Bei Ford hieß es, die jüngsten Vorschläge der UAW würden die Arbeitskosten in den USA verdoppeln und Ford wäre gegenüber Tesla und anderen nicht gewerkschaftlich organisierten Herstellern nicht mehr konkurrenzfähig. Stellantis teilte mit, das Unternehmen sei in einen „Notfallmodus“ versetzt worden. Man werde alles tun, um den Konzern und seine Betriebe in Nordamerika zu schützen. Was das bedeutet, ließ Stellantis offen. (hie/Reuters)

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