Gastkommentar

Am Ende werden es wieder Biden und Trump sein

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Skandale gehören zur US-Politik einfach zu. Dennoch: Die heutige politische Feindschaft ist neu in ihrer Intensität.

Ungeachtet einer widerstandsfähigen Wirtschaft, die den meisten Prognosen trotzt – bisher konnte sowohl eine Rezession vermieden als auch die Arbeitslosigkeit niedrig gehalten werden –, wirken die Amerikaner zunehmend unruhig. Eine große Mehrheit, der es an Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der gegenwärtig guten Bedingungen mangelt, glaubt, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt.

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Und obwohl so viel auf dem Spiel steht, steuert das Land auf eine Präsidentschaftswahl zu, bei der ein Kandidat, gegen den wegen mehrerer schwerer Verbrechen Anklage erhoben wurde, gegen einen Amtsinhaber antritt, dessen Ansehen unter Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit den Auslandsgeschäften seines Sohnes leidet. Skandale gehören in der amerikanischen Politik einfach dazu. Präsident Richard Nixon reichte seinen Rücktritt ein, um nicht wegen Watergate angeklagt und seines Amtes enthoben zu werden, und Bill Clinton und Donald Trump mussten sich beide einem Amtsenthebungsverfahren stellen (wurden aber nicht vom Senat verurteilt). Nichtsdestoweniger scheint die heutige politische Feindschaft in ihrer Intensität neu zu sein – und nimmt weiter zu.

Obendrein werden wichtige ­nationale Probleme nicht in Angriff genommen, und die künftige wirtschaftliche Stärke und der geopolitische Einfluss Amerikas sind neuen großen Risiken ausgesetzt. Der Staat ist übermäßig verschuldet, und die Haushaltsprognose weist riesige Defizite auf, so weit das Auge reicht. Sowohl die Sozialversicherung als auch Medicare steuern auf die Insolvenz zu. (…) Ohne eine starke Führung durch den nächsten Präsidenten oder die nächste Präsidentin werden die USA weiter ­in fiskalische, wirtschaftliche und möglicherweise militärische Krisen mit globalen Auswirkungen ab­driften.

Kriminalität in progressiven Städten stark gestiegen

Am Jahrestag der Verabschiedung des milliardenschweren Investitionsprogramms Inflation Reduction Act („Gesetz zur Reduzierung der Inflation“) hat der US-Präsident, Joe Biden, die angeblichen Vorteile seiner Politik gepriesen. Doch eine Mehrheit der unabhängigen Wähler – die inzwischen einen Rekordanteil von 49 % der Wählerschaft ausmachen – ist der Meinung, dass seine Politik sie schlechtergestellt hat.

Sie haben gute Gründe dafür. Mit ihren Staatsausgaben bei einem übermäßigen Defizit in einer Wirtschaft, die sich der Vollbeschäftigung nähert, hat die „Bidenomics“ genannte Wirtschaftspolitik am meisten zur schlimmsten Inflation seit den frühen 1980er-Jahren beigetragen. Zwar hat sich der Preisanstieg etwas abgeschwächt, doch die Kern­inflation (ohne Lebensmittel- und Energiepreise) liegt nach wie vor deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel der US-Notenbank.

Amerikas Unbehagen beschränkt sich allerdings nicht allein auf die Verluste, die die hohe Inflation den Budgets der Familien zufügt. In den ersten 20 Monaten von Bidens Amtszeit ist die Zahl der illegalen Einwanderer auf weit über fünf Millionen angestiegen, von denen viele lediglich einen Zettel erhalten, auf dem sie aufgefordert werden, in ferner Zukunft zu einer Asylanhörung zu erscheinen. Die Kriminalität in progressiven Großstädten hat so stark zugenommen, dass Menschen und Unternehmen fliehen.

Auch Biden steht unter Druck

Doch zum Leidwesen der meisten Wählerinnen und Wähler wird es bei den Präsidentschaftswahlen 2024 wahrscheinlich zu einem erneuten Aufeinandertreffen zwischen Biden und seinem Vorgänger Donald Trump kommen – zwei Kandidaten mit geringen allgemeinen Zustimmungswerten und hohen negativen Stimmungswerten. Nicht nur stellt Bidens Alter seine Fähigkeit infrage, das Amt weitere vier Jahre auszuüben; die Wähler sind auch durch den Skandal um Hunter Bidens Auslandsgeschäfte und Steuerhinterziehung abgeschreckt. Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Biden als Vizepräsident von Barack Obama die Versuche seines Sohnes, sich ungebührliche Vorteile zu verschaffen, unterstützte oder ein Auge zudrückte – Bemühungen, die dazu führten, dass neun Familienangehörige angeblich Zahlungen von ausländischen Staatsbürgern erhielten. In einer aktuellen CNN-Umfrage gab die Hälfte der Befragten an, dass sie Bidens Verhalten als Vizepräsident für strafbar (42 %) oder unmoralisch (18 %) halten, und auch, dass er sich bei den Ermittlungen gegen seinen Sohn unangemessen verhalten hat.

Trumps Probleme sind weitaus schlimmer, sowohl rechtlich als auch politisch. In einer aktuellen Fox-Umfrage glaubt eine Mehrheit der Befragten, dass er strafbare Handlungen begangen hat (wenngleich eine Mehrheit der Republikaner seine Behandlung durch das Justizministerium auch für parteipolitisch motiviert hält). Der ehemalige Präsident ist mit vier separaten Anklagen konfrontiert – insgesamt 91 Anklagepunkte – und wird während der republikanischen Vorwahlen und der Wahl im kommenden November Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen müssen.

Viele der Anklagen gegen Trump – sowohl auf Bundesebene als auch im Bundesstaat Georgia – stützen sich auf schwache oder bereits verworfene Rechtstheorien, und einige könnten in der Berufung aufgehoben werden. Andere Vorwürfe, wie die wegen Behinderung der Justiz im Zusammenhang mit den als geheim eingestuften Dokumenten in seinem Anwesen Mar-a-Lago, scheinen jedoch festen Boden unter den Füßen zu haben. Unterdessen behaupten Trump und seine Anhänger weiterhin fälschlicherweise, die Wahl 2020 sei gestohlen worden.

Trotz dieses Ballasts ist Trump der große Favorit für die Nomi­nierung der Republikaner und liegt in einer aktuellen Umfrage zur kommenden Präsidentschaftswahl gleich­auf mit Biden. Es gibt also ­eine Vielzahl von plausiblen Szenarien. Zunächst einmal könnte Trump von den Republikanern zum Spitzenkandidaten gekürt werden, die Wahlen verlieren und seine Niederlage anschließend auf seine „erfundenen“ Probleme mit dem Gesetz schieben. Sollte eines seiner Urteile in der Folge in der Berufung aufgehoben werden, könnten seine Behauptungen bei vielen Wählern Widerhall finden.

Amerika braucht eine Führungspersönlichkeit

Eine andere Möglichkeit ist, dass Trump das Weiße Haus zurückerobert und sich selbst begnadigt, oder dass Beweise auftauchen, die ausländische Zahlungen direkt mit Biden in Verbindung bringen. In jedem dieser Szenarien müssten Biden oder Trump versuchen, ein noch stärker gespaltenes Land zu regieren, als es heute der Fall ist.

Amerika braucht eine Führungspersönlichkeit, die aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie Harry Truman, Ronald Reagan oder George H. W. Bush. Sie haben große Herausforderungen in Angriff genommen, wie den Aufbau der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die Eindämmung der Inflation, den Wiederaufbau des Militärs und den geschickten Umgang mit dem Ende des Kalten Krieges. Wenn die Amerikaner unruhig sind, könnte ein Grund sein, dass sie sich fragen, ob eine solche Führungspersönlichkeit auftauchen wird.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow. © Project Syndicate 1995–2023
E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Die Presse“-Ausgabe, 20.9.2023

Der Autor

Michael J. Boskin ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Stanford und Senior Fellow der Hoover Institu­tion. Von 1989 bis 1993 war er Chef des wirtschaftlichen Beraterstabs des damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush.

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