Gastkommentar

Jeder Stau ist ein Fehler im System

Peter Kufner
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Nicht nur der Verkehrsstau lähmt uns. Der Reformstau verschwendet und vernichtet die parlamentarischen Energien.

Jeder Stau ist eine Effizienzopposition und ein Effektivitätsvernichter. Zeit ist Geld – und jeder Stau vernichtet Zeit und damit Geld.

Warum tolerieren wir diesen Umstand? Ist Stau unvermeidbar? Geht es nur um Durchflussgeschwindigkeiten, oder ist der Stau eine durch Konsens (alle gleichzeitig) oder Dissens (niemand soll es erreichen) herbeigeführte Abnormität? Ist Stau eine demokratiepolitische Notwendigkeit? Checks and Balances brauchen Zeit, oder? Ja! Gut Ding braucht auch Weile und Überlegung – und dann aber beherzte Handlung und tatkräftige Umsetzung. Also keinen Stau. Keinen Stillstand. Keine Lähmung.

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Jeder Stau ist ein Fehler im System oder im Verhalten der Systemteilnehmer. Klartext: der Fehler des politischen Systems und der darin handelnden Personen. Neben dem später erwähnten therapeutischen Nihilismus gibt es nunmehr die Kehrseite: Den Erfolg eines anderen zu verhindern, ist schon als eigener Erfolg gewertet. Was übrig bleibt. ist Stillstand, ist Stau.

Jeder Stau ist eine Beleidigung des Möglichen. In ihm zeigt sich der Mangel an Sicherheits-, Verantwortungs- und Fehlerkultur. 

Therapeutischer Nihilismus

In einem Stau oder Handlungsstillstand wird manifest, dass es einen Mangel an Vertrauen, Verantwortung und Verhalten gibt. Der Stau entlarvt das mangelnde Selbstvertrauen von Personen und Organisationen, die aufgrund des Mangels auch anderen nicht vertrauen. Wer nicht vertraut, ist in ständiger Abwehr und mauert sich auf seinen Positionen ein, ist unbeweglich und starr und behindert damit jede Lösung. Denn wie das Wort schön sagt, muss man sich von starren Positionen lösen, um die Veränderung (zum Guten) zu ermöglichen, aka zur Lösung. Stau ist auch ein Gewohnheitssymptom, der banale Verkehrsstau, aber auch der Politik, hinten nachzuhinken und so lang nichts zu tun, bis die Zustände dann doch explosiv unhaltbar werden.

Hierzulande frönen wir der Grundhaltung des therapeutischen Nihilismus: nichts tun, bis sich das Problem aufgrund von Erschöpfung aller Beteiligten von selbst löst. Das ist der Reformstau.

Die Verweigerung der Anerkennung unserer Bürgerrechte auf Information wird hinter einer Mauer bewahrt. Diese Mauer ist nichts anderes als das Symbol zweier gravierender Mängel: Mangel an Ehrlichkeit und Mangel an Vertrauen, da ja Vertrauen nur entstehen kann, wenn man jederzeit rechenschaftsfähig ist. Aber das sind die politischen Protagonisten nicht. Daher staut sich hinter den Unzulänglichkeiten der Politik die Reform. Autoritäres Gehabe zeigt ja nur, dass sich die Protagonisten dem Argument und dem Diskurs nicht stellen wollen oder können.

Die zum Stillstand gezwungene Energie verröchelt nutzlos und ohne den Zweck zu erfüllen, für den sie ursprünglich in Gang gesetzt wurde. Und sie setzt sich nach dem Energieerhaltungssatz als nutzlose sich steigernde Hitze im System um. Leere Kilometer erzeugen diese Hitze und vergiften das politische Klima. Die Zombifizierung der Gesellschaft und der Verlust der Beteiligung, angetrieben durch Vergeblichkeit und Ohnmachtsgefühle, befördern den Frust mit der Demokratie. Die kann aber nichts dafür.

Überall Stau, Stau, Stau

Wo sind diese Stauereignisse so spürbar? Im derzeitigen Reformstau, der die parlamentarischen Energien verschwendet und vernichtet. Mit weitreichenden Konsequenzen des Zuwenig oder Zuspät. Stau beim Transparenzgesetz. Stau in der Bildung. Stau in der Infrastruktur. Stau am Bau. Stau auf den Verkehrswegen. Stau im Gesundheitswesen. Stau in den Klimaschutzzielen. Stau in der europäischen Kooperation. Stau bei der Lösung der Migrationsfrage. Diese aufgestauten, unerledigten, aber mit viel Getue und Aufwand vergeblich in Angriff genommenen Vorhaben und die Inszenierung von Nebenschauplätzen sind eine verheerende Verschwendung von Energie und Ressourcen. Wir schauen resignierend zu und zahlen für die Anläufe, die im Nirwana der gegenseitigen parteipolitischen Blockaden ergebnislos verröcheln.

Das Gezeter um Klimaschutz versus Wachstum ist ein Archetyp der Energieverschwendung. Anstatt das Problem durch richtige Entscheidungen und richtige Adressierung zu lösen, spielt die Politik das Lobbyspiel mit und macht die einzelnen Menschen für die Schutzleistung verantwortlich, während die Ölkonzerne weiterhin mit Wachstumsraten planen dürfen. Unsere individuelle Energie zu sparen, ist global gesehen ein Vorwand, um den Innovationsstau der Politik und der Industrie zu kaschieren.

Von der Makroökonomie zur Mikroökonomie vor unserer Haustüre: Verkehrsstau als kleine Anschauung vernichteter Energie. 50.000 PS im täglich ruckweisen Stillstand auf der Tangente in Wien. Die CO2-Hölle, welche durch unterlassene Koordination in der Verkehrsplanung zäh am Ort verweilt – also im Stau – und mehrfach schädlich ist. Der Zweck, Güter und Menschen von A nach B in einer bestimmten kalkulierten und daher ökonomisch bewerteten Zeit zu bewerkstelligen, wird schlichtweg über einen mehr oder weniger langen Zeitraum verzögert – und damit vernichtet.

Dazu kommt der Feinstaubabrieb durch den Stop-and-go-Verkehr – und niemand bei den Grünen ist ehrlich genug, um die komplexen Zusammenhänge ehrlich zu diskutieren. Ich sehe einen grünen Feinstaubspezialisten im Fernsehen, der dem Reifenabrieb beim Anfahren und Abbremsen die Schuld an der Feinstaubbelastung gibt, es aber verschweigt, dass jede politisch motivierte Verkehrsbehinderung die finale Ursache fürs Abbremsen und wieder Losfahren ist. Komplexität ist auch bei den linken Populisten keine ausgeprägte Denkdisziplin.

Semantische Sauerei

Stattdessen wird der Bau der S1 „durch“ die Lobau“ verhindert. Dass wir diese semantische Sauerei tolerieren, zeigt an, wie müde wir schon geworden sind. Die S1 würde 60 Meter unter einer Lobau auf der oben seit vielen Jahren sehr großen Industrieanlagen der OMV entstehen.

Die S1 würde den Süd-Nord- und Vice-versa-Verkehr deutlich von der Tangente abziehen und ihn am Fließen halten, vorerst fossil, später vielleicht elektrisch oder wasserstoffgetrieben. Aber Infrastruktur ist notwendig, um Menschen an den Errungenschaften einer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Verwöhnte innerstädtische Bürgerkinder verstehen nicht, dass auch Bergbauern und Kleindörfler in der Provinz ein Recht auf einen kurzen Schulweg und Einkauf sowie eine kurze Lieferung und Anbindung an Kultur und Welt haben.

Wäre schon vor 30 Jahren die Politik im Reformstau gewesen, würden heute die Bergbauernregionen entvölkert sein und die Almen brachliegen, und kein junger Mensch würde mehr dort auf lediglich über Saumpfade zu erreichenden Höfen und Almen leben wollen. Und auch kein Tourist – gerade die in der Natur selbstgerecht hyperventilierenden Grünen – würde dann die nur fußläufig zu erreichenden Almhütten als politisch so überkorrektes Urlaubsdomizil wählen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Dr. Hans Bachmann (*1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexter, Berater und Lehrer. Unterrichtstätigkeit als Dozent an den Fachhochschulen Joanneum und Hagenberg. Themen: Kommunikation, Persönlichkeit, Kreativität.

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