Es schmeckt wie Beef Jerky mit Fleischmus und wird zu Robbenfett verspeist, das auf der Zunge zerläuft wie warme Butter.
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Franzobel über Grönland: Walhaut mit Speck und frischer Leber

Wer in Grönland überleben will, muss mit dem auskommen, was das Meer hergibt: Narwalen, Robben oder Walrössern. Es ist kein Land für Vegetarier – vor allen Häusern stehen Holzgestelle, auf denen sockengroße Fleischfetzen trocknen.

Siebenundsiebzigster Breitengrad, Qaanaaq, die nördlichste Stadt der Welt, vielleicht die einzige, in der noch kein Regionalkrimi spielt. 300 Einwohner, ein einziges Hotel mit fünf Zimmern, kein Gastronomiebetrieb, eine Ärztin, Plumpsklos, kaum Straßen, so gut wie keine Autos. Keine Kreuzfahrtkolosse, dafür kommt zweimal im Jahr das Versorgungsschiff aus Dänemark, um die Supermarktregale aufzufüllen. Flugzeuge, Propellermaschinen der Air Greenland, gehen nur alle drei, vier Tage. Es gibt belebtere Orte als diese Siedlung aus bunten Holzhäusern.

In ganz Grönland leben so viele Menschen wie in Sankt Pölten, auf einer Fläche, die fünfundzwanzigmal größer ist als Österreich, wobei der Großteil davon mit Eis bedeckt ist, einem gigantischen, kilometer­dicken Gletscher, dessen Abschmelzen den Meeresspiegel um sechs Meter heben würde. Die Inuit glaubten früher, in diesem Inlandeis wohnten die Geister der Toten und menschenfressende Riesen. Vielleicht ist in dieser gigantischen Fläche, wo nichts sein sollte, ­aber alles? Heute werden dort Bohrungen durchgeführt, um das CO2 in der Atmosphäre vergangener Jahrhunderte zu messen. Ergebnis: In der Gegenwart ist der Kohlendioxidgehalt um achtzig Prozent höher als jemals zuvor.

Auch in Qaanaaq spürt man den Klimawandel; so gibt es plötzlich Stechmücken, die einem in Südgrönland das Leben vergällen. Das Meer friert später zu, die Gletscherzungen sind zurückgegangen, die Ankunftszeit der Wale verschiebt sich.

Qaanaaq, Nordgrönland. Was will man an so einem abgeschiedenen Ort, wenn man kein Klimaforscher ist? Mich hat es dahin verschlagen, weil ich für meinen nächsten Roman recherchieren wollte. Tatsächlich ist die Landschaft atemberaubend. Die mächtigen Eisberge im Meer gleichen Palästen oder Kathedralen, der schmale Küstenstreifen besteht aus kargen Geröllwüsten – keine Bäume oder Büsche, nur winzige Blumen und Wollgras, das an Pusteblumen im Häschenpelz erinnert. Kahle Berge, klare Gletscherbäche und die schier endlose Inglefield-Bucht, die eine fast unheimliche Ruhe ausstrahlt. Manchmal kann man das Schnauben der nach Luft schnappenden Narwale hören, und im Winter sind Nordlichter zu sehen, die früher von den Eingeborenen für Nabelschnüre ungeborener Kinder gehalten worden sind.

Wer hier überleben will, muss mit dem auskommen, was das Meer hergibt: Narwalen, Robben, Walrössern – Meeressäuger, deren dunkles Fleisch gebraten an Wild erinnert. Die Inuit essen es auch roh, da schmeckt die Haut leicht nach Meer. Kein Land für ­Vegetarier. Früher war das einzige Grünzeug auf dem Speisezettel der Mageninhalt von Rentieren – Pesto auf Grönländisch. Heute bekommt man in Supermärkten zwar Gemüse, aber frisch kann das nicht sein. Dafür ­stehen vor allen Häusern Holzgestelle, auf denen sockengroße Fleischfetzen trocknen. Sie schmecken wie Beef Jerky mit Fleischmus und werden zu Robbenfett verspeist, das auf der Zunge zerläuft wie warme Butter.

Fermentierte Krabbentaucher

Die Spezialitäten sind Narwalhaut mit Speck oder in einer jungen Robbe fermentierte Krabbentaucher, die von der Konsistenz schleimig und geschmacklich nahe beim Blauschimmelkäse sind. Mir wurde eine aufgeschnittene rohe Robbe angeboten. Gewöhnungsbedürftig. Einheimische zuzelten an Därmen und schwärmten von der frischen Leber. Wegen der herumsurrenden Fliegen wollte ich davon nicht viel essen. Torben, ein Däne, der das Lokalmuseum eingerichtet hatte, meinte, man müsse dreimal kosten, dann packe einen der Geschmack. Er hat sich ordentlich den Bauch vollgeschlagen, es am nächsten Tag aber unter ­Koliken bereut. In den zwei eisfreien Sommermonaten bewegt man sich mit Booten oder Kajaks, während im restlichen Jahr Hundeschlitten das bevorzugte Fortbewegungsmittel sind.

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