Medizin

Frühwarnsystem für epileptische Anfälle

Gewarnt werden könnten die Erkrankten letztlich durch zu entwickelnde Geräte, beispielsweise medizinische Armbänder oder Manschetten, die mit den nötigen Sensoren ausgestattet sind.
Gewarnt werden könnten die Erkrankten letztlich durch zu entwickelnde Geräte, beispielsweise medizinische Armbänder oder Manschetten, die mit den nötigen Sensoren ausgestattet sind.Imago / Jan Eifert
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Ein spezielles Armband könnte an Epilepsie erkrankte Menschen vor einem nahenden Anfall warnen. Forschende aus Oberösterreich tüfteln derzeit an den Voraussetzungen dafür und nutzen neueste Methoden künstlicher Intelligenz sowie den feinen Geruchssinn von Hunden.

Ein plötzlicher Anfall: Das ist das, was viele Menschen, die an Epilepsie leiden, am meisten fürchten. Die Angst, mitten auf der Straße plötzlich bewusstlos zu werden, schränkt ihr Leben ein, und das Tag für Tag.

Ein Forschungsteam aus Linz arbeitet nun daran, Betroffenen ihr Los mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) zu erleichtern: Sie wollen herausfinden, ob der Körper Warnsignale ausschickt, bevor es zu einem der gefürchteten Anfälle kommt. „Gelingt es, ein Frühwarnsystem zu etablieren, könnten Betroffene rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel Medikamente einnehmen oder eine sichere Umgebung aufsuchen“, sagt Projektleiter Wolfgang Narzt vom Institut für Wirtschaftsinformatik/Software Engineering der Johannes-Kepler-Universität (JKU). „Den Anfall selbst kann man damit zwar nicht verhindern, wohl aber die Gefahr von Verletzungen reduzieren, die etwa daraus resultieren, dass der bewusstlos Gewordene stürzt. Bei manchen Formen der Epilepsie passiert es auch, dass Erkrankte ihre Bewegungen nicht kontrollieren können und etwa beim Kochen mit der Hand ins heiße Wasser geraten, wobei sie die erlittenen Verbrühungen erst bemerken, wenn sie wieder zu sich kommen.“

Alarm im gewohnten Alltag

Derzeit sind Vorhersagen von epileptischen Anfällen nur in klinischem Setting eingeschränkt möglich: Die Patientinnen und Patienten müssen dafür im Krankenhaus bleiben und durchgehend an medizinische Geräte angeschlossen sein. „Wir wollen hingegen eine Lösung finden, um Betroffene im Alltag und in ihrer gewohnten Lebensumgebung rechtzeitig vor einem bevorstehenden Anfall zu warnen“, erklärt Narzt. Daher beginnt dieser Tage eine Studie in Zusammenarbeit mit der Klinik für Neurologie 1 am Universitätsklinikum Linz und dem Institut für Machine Learning an der JKU. Als Industriepartner ist das auf künstliche Intelligenz spezialisierte Unternehmen Five ­Square dabei. Narzt: „Die Probanden werden mit einem Netzwerk an tragbaren Sensoren ausgerüstet. Damit erfassen wir biologische Parameter wie den Herzschlag, die Sauerstoffsättigung des Bluts, den Blutfluss im Gehirn, den Haut­widerstand, Muskelkontraktionen und einiges mehr. Vermutlich werden nicht alle in Bezug auf epileptische Anfälle von Bedeutung sein. Uns geht es darum herauszufinden, welche Faktoren tatsächlich ausschlaggebend sind.“

Dabei lassen sich die Forschenden von der Tierwelt inspirieren: Speziell trainierte Hunde sind in der Lage, Epilepsieanfälle besser vorauszusagen, als dies derzeit mit wissenschaftlichen Methoden möglich ist. Sie bellen, wenn ein Anfall bevorsteht. Es wird vermutet, dass die Vierbeiner mit ihren feinen Nasen Änderungen des Körpergeruchs der Betroffenen wahrnehmen. „Als erstes Forschungsteam weltweit versuchen wir, das nachzuweisen, indem wir u. a. die Schweißbildung Betroffener mit Sensoren registrieren“, sagt Narzt. Bei diesem umfassenden Monitoring fällt eine riesige Datenmenge an. Allein die Herzratenvariabilität wird in Abständen von Millisekunden gemessen und aufgezeichnet. Da kommt die KI ins Spiel. „Sie wird mit den Daten aller Sensoren gefüttert und sucht nach Mustern in den biologischen Faktoren, die sich im Vorfeld epileptischer Anfälle zeigen. Treten diese Muster dann im Alltag auf, wissen die Betroffenen, dass ein Anfall naht.“

Anwendung ist Zukunftsmusik

Die Forschenden bedienen sich dabei der sogenannten Transformer-Technologie, der neuesten KI-Modelle, und erwarten sich davon aussagekräftigere Ergebnisse, als sie mit früheren – auch weniger umfassenden – Studien erzielt wurden. Gewarnt werden könnten die Erkrankten letztlich durch zu entwickelnde Geräte, beispielsweise medizinische Armbänder oder Manschetten, die mit den nötigen Sensoren ausgestattet sind und ein Signal geben, sobald sie für bevorstehende Anfälle relevante Konstellationen in den Körperfunktionen entdecken.

Das liegt aus derzeitiger Sicht jedoch noch in der Zukunft. „Nach Abschluss der einjährigen Studie ist zunächst ein internationales Projekt geplant, um die Resultate wissenschaftlich abzusichern“, erläutert Narzt.

In Zahlen

50.000 Menschen in Österreich leiden an unterschiedlichen Formen der Epilepsie, der häufigsten chronischen Erkrankung des Nervensystems weltweit. Bei vielen tritt sie im Kindesalter erstmals auf: Statistisch gesehen erkrankt eines von rund 1700 Kindern. Zu zahlreichen Neuerkrankungen kommt es auch ab dem 60. Lebensjahr.

250 Betroffene nehmen derzeit an der Studie des Linzer Universitätsklinikums und der Johannes-Kepler-Universität teil, die körperliche Warnsignale (Biomarker) von bevorstehenden Anfällen ausfindig machen will.

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