Interview.

Kaiser: „Vorzeitiges Wahlkampfgetöse zeugt immer von Nervosität“

Landeshauptmann Peter Kaiser sieht eine positive Entwicklung bei der Kinderbetreuung in Kärnten.
Landeshauptmann Peter Kaiser sieht eine positive Entwicklung bei der Kinderbetreuung in Kärnten. Karlheinz Fessl
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Die Instabilität sei die neue Normalität, sagt Landeshauptmann Kaiser. Er spricht über Existenz- und Verlustängste in der Bevölkerung und will eine Entlastung des Faktors Arbeit sowie eine „gerechte Besteuerung von Erbschaften“.

Die Presse: Mein Kollege Klaus Knittelfelder meint, dass wir uns im „längsten Wahlkampf aller Zeiten“ befinden. Hat er damit recht?

Peter Kaiser: Vorzeitiges Wahlkampfgetöse zeugt immer von Nervosität. Diese Weisheit, die ich im 50. Jahr meiner politischen Tätigkeit äußere, gilt für alle Parteien. Angesichts der multipolaren Krisen, einer Zeit enormer Herausforderungen, aber auch des Versuchs, einer Normalität das Wort zu reden, verwundert das also nicht. Ich fürchte ohnehin, dass die sogenannte Normalität zur Ausnahme wird. Vielmehr müssen wir gegenüber dem bisher Gewohnten die Instabilität als die neue Normalität ansehen.

Also müssen wir uns damit abfinden, dass ein Jahr Wahlkampf ebenfalls zur neuen Normalität gehört?

Alle wahlwerbenden Parteien wären gut beraten, in ihrer Wahlbewegung tunlichst darauf zu achten, wie wir mit diesen Veränderungen umgehen. Ich sage bewusst Wahlbe­wegung und nicht Wahlkampf.

Welche Veränderungen meinen Sie?

Existenzsicherung, Versorgung, aber auch Perspektiven.

Aber im Wort „Existenzsicherung“ steckt wie im „Wahlkampf“ sehr viel Angst und Polarisierung. Müssen wirklich so viele Menschen in diesem Land um ihre Existenz fürchten?

Wenn Sie es nur statisch sehen, könnte man den Begriff hinterfragen. Wir befinden uns allerdings in einer permanenten Entwicklung. Und vergangene Generationen hatten tendenziell – von Einzelschicksalen abgesehen – immer etwas mehr von allem. Es gab keine kollektive Existenzbedrohung. Aber heute ist das anders. Ich habe jüngst ein Kelag-Kraftwerk eröffnet. Vor drei Jahren hat sich kein Mensch Gedanken über den Strompreis gemacht, geschweige denn über Versorgungssicherheit und Netzstabilität. Heute überlegt man sich bereits, wann es günstiger ist, sein Handy aufzuladen. Daraus entstehen Existenz- und Verlustängste.

Es macht also Angst, zu erkennen, dass unser Wohlstand nicht in Stein gemeißelt ist, sondern dass dahinter besondere Leitungen und Anstrengungen stecken?

Natürlich sind wir eines der reichsten Länder der Welt. Dennoch müssen wir die Grundbedürfnisse unserer Gesellschaft klarer definieren. Dazu zählt ein Dach über dem Kopf, das Zuhause muss gewärmt und mit Strom ausgestattet leistbar gehalten bleiben. Und es braucht gewisse Grundnahrungs- und Hygieneartikel, die gegebenenfalls über eine amtliche Preisregelung leistbar bleiben.

Aber das klingt doch schon wieder nach Ausnahmezustand. Wo herrscht dieser in diesem Land außer in der Politik?

Wir haben Obdachlosigkeit und diese wächst. Ich habe gestern in der Landesregierung einen Antrag für einen Verein genehmigt, der Jugendliche aus der Obdachlosigkeit holt. Wir stecken viel Geld in Jugendnotschlaf­stellen. Es ist schon so, dass wir Menschen mitten unter uns haben, die um ihre Existenz kämpfen.

Aber das Geld ist ja da, der Sozialstaat ist hoch dotiert. Offensichtlich wird das Steuergeld nicht richtig eingesetzt.

Ja, das ist auch einer meiner Kritikpunkte. Es ist immer eine Frage der Verteilung.

Und der Wohlstand ist Ihrer Meinung nach in Österreich schlecht verteilt?

Das liegt doch auf der Hand, wenn das reichste Prozent der Österreicherinnen und Österreicher gleich viel hat wie die unteren 50 Prozent.

Und wenn man den Reichsten etwas wegnimmt, was macht Sie sicher, dass das Geld endlich unten ankommt?

Ich denke, dass wir breite Bevölkerungs­gruppen entlasten könnten. Indem man etwa den Faktor Arbeit niedriger besteuert und damit die Arbeit an sich wieder attraktiver macht. Diese Steuerausfälle sind zu kompensieren, etwa durch gerechtere Beiträge von Millionären.

Die Steuerlast soll also nicht steigen?

Massensteuern, wie die Umsatz- und die Einkommenssteuer sind in Österreich hoch genug. Dagegen sind Millionärssteuern in Österreich EU- und weltweit vergleichsweise sehr gering.

Dritthöchste Steuerquote in Europa ist also „hoch genug“?

Ich kann mir vorstellen, dass durch eine niedrigere Lohnsteuer die Binnennachfrage steigt und somit auch mehr Umsatzsteuer anfällt. Das ist ja auch bei der Abschaffung der kalten Progression so.

Über diese Abschaffung sind die Länder ja nicht so glücklich.

Natürlich begrüße ich die Abschaffung der kalten Progression. Die Bundesregierung hat aber nicht dazugesagt, dass durch die Abschaffung die Beitragsanteile der Länder und Gemeinden sinken. Da hätte man vorher Länder und Gemeinden einbeziehen und entsprechende Kompensationen vorsehen müssen, damit die steigenden Ausgaben für die Daseinsvorsorge wie Gesundheits- und Pflegevorsorge gesichert sind. Beispielsweise hätte man im Gegenzug die CO2-Abgabe auch finanzausgleichsfähig machen können.

Wie viel Geld fehlt den Ländern durch die Abschaffung der kalten Progression?

Mehr als 1,5 Milliarden Euro.

Anstatt über die Verteilung der Steuereinnahmen zu verhandeln, könnte ja auch über die Effizienz von Ausgaben durch die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten diskutiert werden.

Jederzeit und stets bereit. Wir in Kärnten versuchen mit Hilfe der Digitalisierung viele Förderungen auf eine auszahlende Stelle zu bündeln. Aber es gibt noch Probleme, etwa im Bildungsbereich. Bei den Kindergärten. Derzeit geben die Länder die Gesetze vor, die Gemeinden machen die Umsetzung und der Bund sollte für die Finanzierung sorgen, gibt aber aktuell die Kindergarten-Milliarde nicht frei. Diese Milliarde war 2017 ja schon ausverhandelt. Die wichtigste Investition einer Volkswirtschaft ist jene in die Kinder und in die Jugend.

Dafür braucht es nicht nur neue Einrichtungen, sondern auch Personal. An dem mangelt es doch auch hinten und vorne.

Wir haben deshalb bereits eine zusätzliche Ausbildungsschiene für Pädagoginnen und Pädagogen geschaffen. Wir haben sogar einen Mindesttarif für alle pädagogischen Bereiche eingeführt. Für manche Elementarpädagogen bedeutet das eine Lohnerhöhung von 40 Prozent.

Das Problem beginnt nicht bei der niedrigen Bezahlung, sondern schon in der Ausbildung. Nur knapp ein Fünftel der Auszubildenden landen am Ende tatsächlich im Kindergarten.

Bei uns sind es leider auch nur zwischen 20 und 25 Prozent. Das hing bisher auch mit der schlechten Bezahlung zusammen. Aber teilweise liegt es an der Ausbildung selbst. Wir haben nun ein College eingerichtet, in dem man auch schon Praxis in den Kindergärten sammeln kann – und das mit Entlohnung.

Was halten Sie von einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung?

Den können wir derzeit nicht garantieren. Das funktioniert schon allein aufgrund der Topografie nicht. In manchen Gemeinden gibt es zu wenig Kinder, da müssen wir gemeindeübergreifend arbeiten. Wir fördern jene Einrichtungen stärker, die längere Öffnungszeiten anbieten. Tatsächlich zeigt sich, dass ein gutes Angebot angenommen wird. Wir haben in den vergangenen Jahren 3000 zusätzliche Kinderbetreuungsplätze geschaffen – und das bei stagnierenden Geburten­raten. Der Anteil der Null- bis Dreijährigen hat sich von 17 auf knapp 30 Prozent erhöht. ­Natürlich bin ich dafür, dass wir die Mög­lichkeit schaffen, dass Berufstätigkeit auch mit Kindern besser möglich ist. Ich fordere aber auch die Wirtschaft auf, ihren Beitrag zu ­leisten. In Kärnten können Betriebe etwa ­Tageseltern engagieren. Wir ermöglichen das also, aber bei der Eigeninitiative der Unternehmen ist da noch Luft nach oben.

Weil Sie schon kurz den Finanzausgleich angesprochen haben. Für einen Großteil der Österreicherinnen und Österreicher ist dieses wichtige Instrument nach wie vor eine Blackbox.

Es geht darum, dass die Bundesregierung die Beiträge der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch für Länder und Gemeinden einhebt und diese Beiträge dann auch fair und gerecht auf Länder und Gemeinden aufteilt, damit diese die Versorgung der Menschen ­gewährleisten können. Beispielsweise durch hochqualitative Gesundheits- und Pflegeversorgung, zukunftsgerichtete Kinderbil­dung- und –betreuung, Investitionen in enkel­verantwortlichen Klimaschutz, und und und.

Könnte man nicht die Steuern dort einheben, wo sie auch ausgegeben werden? Dann würden die Menschen unmittelbar sehen, was mit ihrem Steuergeld passiert.

Das würde die Grundprinzipien eines ­Föderalismus gefährden, weil dann einer ­gegen den anderen ausgespielt wird. Es hat keinen Sinn, dass man sich in einem Land ­untereinander konkurriert und Dumping betreibt.

»Wir in Kärnten versuchen mit Hilfe der Digitalisierung viele Förderungen auf eine auszahlende Stelle zu bündeln.«

Peter Kaiser

Landeshauptmann von Kärnten (SPÖ)

»Wir haben in den vergangenen Jahren 3000 zusätzliche Kinderbetreuungsplätze geschaffen – und das bei stagnierenden Geburtenraten. «

Peter Kaiser

Landeshauptmann von Kärnten (SPÖ)

Zur Person

Peter Kaiser ist seit 2013 Landeshauptmann von Kärnten. Der SPÖ-Politiker studierte Soziologie und Pädagogik. Bei der Landtagswahl im März verlor die SPÖ neun Prozentpunkte. Sie regiert in Koalition mit der ÖVP.


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