Gastbeitrag

Der Wegbereiter der Rechtsphilosophie an der Uni Wien: Gerhard Luf ist 80

Gerhard Luf bei einem „Rechtspanorama am Juridicum“ im Jahr 2011
Gerhard Luf bei einem „Rechtspanorama am Juridicum“ im Jahr 2011„Die Presse“/Clemens Fabry
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Dass sein Fach heute an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien so gut etabliert ist wie an kaum einem anderen Ort der akademischen Welt, ist sein Verdienst: Gerhard Luf.

Gerhard Luf ist mein akademischer Lehrer, und er ist dies bis heute. Wenn mir die Befassung mit Kants Rechtslehre und deren Vermittlung schwerfallen, liegt das nicht zuletzt daran, dass mich die Sorge plagt, der Lehrer könne unzufrieden sein. Das innere Zwiegespräch mit dem Meister hat nie aufgehört: einmal Schüler, immer Schüler. Und da quasi-familiäre Beziehungen auch ihre Tücken haben, manifestiert sich Lufs väterliche Autorität bis heute an einer gewissen Kant-Hemmung meinerseits. Dabei war Luf als Lehrer und Vorgesetzter alles andere als ein Despot. Mit ihm zu arbeiten, war stets ein Vergnügen, nicht zuletzt, weil er sich darauf verstand, kraft seines Vorbilds zu wirken und niemanden indoktrinierte. Auch war er nie engstirnig. Auf Neues reagierte er immer mit aufgeschlossenem Interesse. Nicht zuletzt aufgrund dieser Offenheit und Lernfähigkeit übertrug sich auf die Mitglieder seines Kreises seine eigene Begeisterung für sein Fach.

Ein Blamieren gab es nicht

Der 1943 geborene und 1978 an der Wiener rechtswissenschaftlichen Fakultät habilitierte Luf war für lange Zeit dort der einzige Vertreter der Philosophie des Rechts. Heute gibt es deren mehrere, und die meisten von ihnen sind seine Schülerinnen und Schüler. Dass das Fach heute an dieser Fakultät so gut etabliert ist wie an kaum einem anderen Ort der akademischen Welt, ist ohne Zweifel sein Verdienst. Die Wertschätzung, der sich die Rechtsphilosophie heute erfreut, ist eine Nachwirkung seines Charismas. Generationen von Juristinnen und Juristen ist er als derjenige in Erinnerung geblieben, in dessen Lehrveranstaltungen man intellektuell aufatmen konnte. Auch wenn nicht immer leichte Kost behandelt wurde, ging man zu Luf, um die frische Luft des herrschaftsfreien Diskurses zu genießen. In der Tat musste nie irgendjemand die Befürchtung haben, blamiert zu werden, wenn er etwas Schräges sagte. Im Gegensatz zum üblichen Lehrbetrieb gab es bei Luf kein Klima der Angst.

Zum Autor

Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek lehrt am Institut für Rechtsphilosophie der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Inhaltlich erschloss er uns Studierenden die Welt jenseits von ABGB und Kelsen. Das Themenspektrum, das er abdeckte, reichte von Platons Kriton bis zu Luhmanns Rechtssoziologie. Sein Bildungsgrad ist immer schon hoch gewesen und im besten bürgerlichen Sinn ergänzt um profunde Kenntnisse der klassischen Musik und der schönen Literatur. Dass mir heute zeitgenössische Musik gefällt, verdanke ich den sanften Anstößen meines akademischen Lehrers. Seine religiöse Anhänglichkeit an SC Rapid hat sich auf mich, den loyalen Sportclub Fan, allerdings nicht übertragen. Die Fußballbegeisterung gehört indes zu Lufs allseitig entwickelter Persönlichkeit ebenso wie die Leidenschaft, mit der er bis heute als Chordirigent wirkt. Er ist alles andere als ein eindimensionaler Mensch.

Meilenstein der Interpretation Immanuel Kants

In seinen akademischen Anfängen fiel Luf an der Fakultät eine ganz bestimmte Rolle zu, nämlich die des moralisch motivierten Kritikers des Rechtspositivismus der Reinen Rechtslehre. Wenn er ausnahmsweise in den von Günther Winkler abgehaltenen Kelsen-Seminaren fehlte, beschwerte sich dieser, man habe ihn vermisst. Ohne seinen Widerspruch sei es langweilig gewesen. Aber nicht nur wurde von Luf diese seine erste Rolle gekonnt ausgefüllt, er vermochte sich auch bald von ihr zu emanzipieren. Die Habilitationsschrift über Kant ist bis heute ein Meilenstein der Kant-Interpretation. Jahrzehntelang sollten sich nachfolgende Kantianer an ihr abarbeiten. Dabei hätte das Werk ursprünglich um einen zweiten Teil über Johann Gottlieb Fichte ergänzt werden sollen. Der war gleichzeitig fertig geworden, konnte aber nicht eingereicht werden, weil es in den siebziger Jahren an der Fakultät niemanden gab, der mit Fichte etwas anfangen konnte. Das ist rückblickend ewig schade, weil sich der Fachwelt von Anfang an die Breite von Lufs Denken erschlossen hätte. Heute gibt es an der Wiener Fakultät Fichte-Kompetenz, und, ja, ihre Existenz ist Lufs Verdienst.

Im Spannungsfeld von Recht und Moral

Mit Kant war für Luf der weitere Weg vorgezeichnet, der ihn zur Philosophie der Menschenrechte führen sollte, um deren Entwicklung er sich über viele Jahrzehnte in zahlreichen Beiträgen verdient mache. Die Menschenrechte sind für Luf eine zentrale Brücke im Verhältnis von Recht und Moral. Der Fokus auf dieses gepaart mit einem intensiven Interesse an der modernen Medizin führten schließlich dazu, dass Luf sich mit der Medizinethik ein weiteres Forschungsgebiet erschloss. Zu den einschlägigen Themen hat er viele Beiträge verfasst und noch mehr Vorträge gehalten. Im Zentrum steht dabei zumeist das spannungsvolle Verhältnis von Technik und Menschenwürde, wobei Luf bis heute das Hauptaugenmerk auf die Grenzen des Machbaren angesichts der Unverfügbarkeit des Humanen legt.

Gerhard Luf, der seit 2005 der österreichischen Akademie der Wissenschaften angehört, hat vielen Studierenden die Erfahrung vermittelt, was die Universität sein kann, wenn sie gelingt. Er hat uns demonstriert, dass sie der Ort ist, an dem die wissenschaftliche Neugier sich frei entfalten kann und sich die Freude am Denken spielerisch ausleben lässt. Deswegen verstehen Leute bis heute nicht, wenn ich Ihnen auf die Frage, was der Zweck der Rechtsphilosophie sei, antworte, diese habe keinen außer sich selbst. Sie ist ein elementarer Ausdruck geistiger Selbstachtung. Das ist vielleicht das Wichtigste, was Luf mir auf meinen Lebensweg gegeben hat.

Im Jahr 2015 war es mir beschieden, seine Nachfolge als Professor für Rechtsphilosophie anzutreten. Bis heute betrachte ich das als große Auszeichnung.

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