Endlich Kapitalismus: Die Trennung in der Schule erfolgt nicht mehr nach Geschlecht, sondern nach Schuh. Ljubljana 2006.
Slowenien

Wir Kinder nach Tito

Slowenien ist gefangen zwischen Ordnung (Österreich) und Chaos (Balkan). Wie ein Ich zwischen Superego und Es. Und das ist auch insofern ungesund, als es darin enden kann, dass man die ganze Nacht durchsäuft und in der Früh trotzdem pünktlich zur Arbeit erscheint.

In der Fremde lernte ich, Sätze mit „bei uns“ anzufangen. „Bei uns hingegen“, statt „ich hingegen“. Ich durfte „bei uns“ sagen, weil ich die Einzige war. So würde ich jetzt gern (so unpolitisch wie nur möglich) über die slowenische Generation der Achtzigerjahre schreiben.

1980. Tito stirbt, wir sind geboren.

Idole. Im Kindergarten singen wir kleine Liedchen wie „rdeča, bela, plava / je Titova zastava.“ – „Rot, weiß, blau ist Titos Fahne“). „Rdeča, plava, bela / je Titova kamela.“ – „Rot, blau, weiß ist Titos Kamel.“ (Ich weiß nicht, warum, Tito hatte doch einen Elefanten, den er von Indira Gandhi bekommen hatte.)

Wir bewundern alle den kurirček, den kleinen Kinderboten, der im Krieg Briefe zustellte, wir wären alle gern kurirček gewesen.

Wir bewundern auch Lepa Brena und andere Sängerinnen, aus Plastilin machen wir uns in der Spielecke gern alle lange Nägel und aus Ballonen einen Busen, der von selbst unter den Leiberln hält, ganz ohne Büstenhalter, und wir singen in den Buntstift und greifen uns manchmal an den linken Ballon. Auch Robi. Er ist der einzige Bub, der mit den Mädchen spielt.

1986. Wir hören auf, Pilze zu sammeln.


Egalité. Bei uns sind alle Kinder gleich. Nicht so sehr wie bei Viktoria weiter im Osten, der am ersten Schultag der geflochtene Zopf abgeschnitten wird, damit alle Mädchen gleich lange geflochtene Zöpfe haben. Aber gleich genug.

Mit acht werden wir bei den Pionieren aufgenommen. Das ist wichtig und prägend. Wenn jemand danach sein Ehrenpionierenwort gibt, glaubt man ihm alles, und wir nutzen das in der Tat selten aus.

Bei der zeremoniellen Aufnahme tragen wir blaue Hosen und weiße Blusen. Wir sagen vor, was auswendig zu lernen war: „Ich verspreche, ich werde brav lernen und arbeiten, und dass ich ein guter Kamerad werde.“ Was ein Kamerad ist, wird aufgrund der Selbstverständlichkeit nie erklärt.

Fraternité ist wohl diese Kameraderie. Ich kann mich nur an den einen Yugoscherz erinnern: „Lass uns alles brüderlich teilen . . .“ „Nix brüderlich, Hälfte-Hälfte!“ (Yugo . . . ein fixes Prefix. Yugotextil, Yugotransport. Das Auto heißt einfach nur Yugo. Ich verlese mich auch heute noch manchmal bei Yoga, ich lese gern: Yugokurs, Yugoretreat.)

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