Gastkommentar

Irgendwann habe ich Nein gesagt

Peter Kufner
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Pflegende Angehörige sind begehrte Studienobjekte. Sie sollen trotz spärlicher Freizeit unentgeltlich an Forschungen teilnehmen.

Immer wieder werde ich angefragt, an einem Forschungsprojekt zur Situation pflegender Angehöriger teilzunehmen. 2022 gab es gleich drei Anfragen innerhalb kurzer Zeit. Bei der dritten Anfrage habe ich dann Nein gesagt. Der anfangs gering dargestellte Zeitaufwand hätte dann doch dreimal so viel Zeit umfasst wie angekündigt. Zeit, die ich als selbstständig Berufstätige und pflegende Angehörige nicht habe. 

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„Pflegende Angehörige sind der größte Pflegedienst der Nation. 801.000 pflegende Angehörige betreuen ein Familienmitglied zu Hause, 68 Prozent davon sind Frauen“, meint Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger. „Pflegende Angehörige leisten pro Jahr 600 Millionen Stunden Pflege. Das entspricht 29.000 Vollzeitstellen und einem geschätzten Gegenwert von mindestens 6,1 Milliarden Euro“, berichtete 2021 Ingrid Korosec, Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes.

30 Prozent der pflegenden Angehörigen sind berufstätig. Statt Freizeit und Urlaub kommen sie von der Erwerbstätigkeit nach Hause in die Pflegearbeit, zum härtesten Job, den es gibt – Liebe hin, Liebe her. Auch durchwachte Nächte sind keine Seltenheit.  

Wer hätte das gedacht?

Pflegende Angehörige sind begehrte Studienobjekte. Das Forschungsfeld ist groß und divers. Selbstverständlich bekommen Forschungseinrichtungen Geld für ihre Arbeit. Die zu beforschenden pflegenden Angehörigen nehmen trotz spärlicher Freizeit unentgeltlich daran teil. So erhöht sich das eigene Pensum an Gratisarbeit in der Hoffnung, die Situation als pflegende Angehörige möge sich verbessern. Doch treiben manche Forschungsergebnisse absurde Blüten. 

Im Mai des Vorjahres hörte ich auf Ö1 einen Beitrag über das Kompetenzzentrum für Menschen mit Behinderung des Bundesministeriums für Soziales, und da erzählte man von einer Studie, die ergab, dass pflegende Angehörige „sehr belastet sind“. Wer hätte das gedacht? Deswegen wolle man nun kostenlose Beratungsgespräche zur Entlastung und Ressourcenstärkung anbieten. Pflegende Angehörige sollen lernen, sich auch um sich zu kümmern, nicht so stark über ihre eigenen Grenzen zu gehen. Vielleicht mal Yoga machen oder so. Ich war sehr froh, dass es mit mir kein Beratungsgespräch gab. Es wäre ein unangenehmes Gespräch geworden – für die Beraterin. 

Im September 2023 waren zwei Universitätsprofessoren im Ö1-„Morgenjournal“ zu Gast. Deren Forschungsarbeit habe tatsächlich ergeben, dass pflegende Angehörige „durch die Pflegearbeit belastet sind“. Weiters haben sie herausgefunden: Je mehr Pflegearbeit diese selbst machen, umso belasteter sind sie – und die Belastung steigt mit der Dauer. Wow! Ich war sehr verblüfft. Und ich habe mein Nein zur Teilnahme an einer weiteren Studie nicht bereut.

Die harte Realität abseits dieser bahnbrechenden Studien sieht dann so aus: Mir wurde noch im selben Monat per Mail des Fonds Soziales Wien mitgeteilt, die mobile Pflege und Betreuung für meine elfjährige palliativkranke Tochter würden ab sofort um ein Drittel gekürzt. Ob weitere Forschungsarbeiten wieder zum Schluss kommen werden, dass Kürzungen in der mobilen Kinderkrankenpflege eine Belastung für pflegende Eltern bedeuten? 

Ist das Hackers Logik?

Die Konsequenz von Kürzungen in der mobilen Pflege und Betreuung heißt mehr Pflegearbeit für die Angehörigen selbst. Durch mehr Belastung müssen pflegende Angehörige oftmals ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder gänzlich aufgeben. Wie die Berichte der Armutskonferenz zeigen, führt das in weiterer Folge zu niedrigeren Pensionen und Altersarmut. Von Armut gefährdete Menschen werden wiederum durchschnittlich zwei Jahre früher pflegebedürftig. Was man auf der einen Seite kürzt, wird dann auf der anderen Seite wieder gebraucht. Das kann doch nicht die Logik des Wiener SPÖ-Stadtrats Hacker sein? Ja, es bedarf dringend des Ausbaus der mobilen Pflege und Betreuung statt Kürzungen. Wir sollten sowohl mit unserem Steuergeld als auch mit der Zeit und Belastung pflegender Angehöriger sorgfältig umgehen. Die Pflege von Menschen gehört gut aufgeteilt: auf stabile, kooperative Pflegeteams bestehend aus Profis, aus diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Angehörigen.

Pflege zu Hause ist harte Arbeit

Pflege zu Hause ist harte Arbeit, die keine Privatsache sein darf, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Ohne pflegende Angehörige wäre die Betreuung und Pflege von hilfsbedürftigen Menschen zu Hause nicht möglich. Weder Yoga noch weitere Studien können die Pflegelücke schließen. Dies gelingt nur mit dem Ausbau mobiler, stabiler Pflege- und Betreuungsteams. Davon haben dann alle was.

Was niemand vergessen sollte: An der Pflege kommen wir nicht vorbei. Sie betrifft uns alle. Jeder wird einmal jemanden kennen, der Pflege braucht. Wir sollten daher schauen, dass wir Pflege sicherstellen, bevor wir sie brauchen.

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Die Autorin:

Jana Mack

Elisabeth Sechser (* 1975) ist Beraterin, Publizistin und Mutter einer unheilbar kranken Tochter. Sie ist die Initiatorin von „Caring Economy. Jetzt“.

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