Expedition Europa: Niemand wollte jemals vom Ursprung der Pest am kirgisischen See Yssykköl gehört haben.
Wohl keine andere Seuche hat Europa so zerrüttet wie der „Schwarze Tod“, der ab 1347 rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung hinwegraffte: Während sich die einen mit Geißlerumzügen religiösem Fatalismus ergaben, nahmen die anderen mit dem Verlust ihres Glaubens den Ausgang aus dem Mittelalter, und einige wenige Überlebende zogen in einer historisch einmaligen Erben-Lotterie das große Los.
Wie im Grunde alle Weltreligionen, so kamen traditionell auch viele der bedeutendsten Seuchen aus Asien. Bevor Yersinia pestis über den genuesischen, von der Goldenen Horde belagerten Krim-Hafen Kaffa/Feodossija auf Europa übergriff, war sie zum ersten Mal unter assyrischen Christen am Yssykköl-See aufgetreten. 1607 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, 182 Kilometer lang, 60 Kilometer breit und bis zu 668 Meter tief, ist der Yssykköl nach dem südamerikanischen Titicaca der zweitgrößte Gebirgssee der Welt. Das „Herz des Tianshan“ genannt, liegt der See heute in der früheren Sowjetrepublik Kirgisistan.
Ich reiste früher in diesem Herbst an den Yssykköl. Ich landete in der kasachischen Wirtschaftsmetropole Alma-Ata, die für mich die wahre Kapitale Eurasiens ist, da sie sich gemäß europäischer Moden bewegt, literarisches bis mutterfluch-ordinäres Russisch spricht und sich oft erst aus nächster Nähe – nämlich beim Blick auf die Augenpartie – als asiatisch entpuppt.
Ein allasiatisches Sprachenbad in in der Gogol-Straße
In einem Café an der zentralen Gogol-Straße nahm ich ein allasiatisches (chinesisch-russisch-englisches) Sprachenbad. Es wurde verabreicht von kerzengerade in dunkelblauen Slim-Fit-Anzügen notebooktippenden Jung-Singapurern, einer laut zu Menschenrechtsthemen telefonierenden NGO-Russin und einem bürgerlich vornehmen indischen Paar.