Heute die Ukraine, Israel und Palästina. Und morgen? Kharkiv, 16. März 2022.
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’S ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!

Über dreißig engbeschriebene Seiten zieht sich das Wort Krieg im Grimm’schen Wörterbuch. Kriegsamt, Kriegsanführer, Kriegsangst, Kriegsbegeisterung, Kriegsbeute und Kriegsbraut, Kriegsgefahr und Kriegsgeschäft usw. bis zu den Kriegstoten.

Unmöglich, über Krieg zu streiten. Betroffen, ratlos, verzweifelt verstummen. Das kann man. Oder schreien, laut und wütend schreien: Nein! Nein! Nein!! Hört auf! Fangt gar nicht an, fangt nicht schon wieder an!

Nie wieder! Es vergisst sich schnell, wenn es wieder aufwärts geht. Dort, wo die Überlebenden ihre Toten suchen in den Ruinen, Tote überall, Abermillionen, dort überlebt es eine Weile. Verstümmelte, Traumatisierte, ich hab sie noch gesehen, die Einbeinigen und Beinlosen mit dem Lederschutz über den Stummeln, die Zitternden und Zuckenden, ich war ein Kind, aber ich sehe sie noch heute. Von den Millionen Ermordeten in den Konzentrationslagern sprach damals noch niemand. Das große Verschweigen. Heute: Bilder, Bilder, Bilder unvorstellbaren Grauens. Krieg. Echtzeit an der israelisch-palästinensischen Küste. Schalten wir aus? Schauen wir zu? Schicken die Kinder weg, damit sie nicht sehen, wie anderswo andere Kinder geschlachtet werden wie Vieh? Halten uns die Augen zu, rennen davon? Ist das Widerstand?

Nie wieder Krieg! Klingt Ende 2023 wie Hohn. Führte dennoch einmal, vor einem halben Jahrhundert, zu einem herausragenden Friedensprojekt, dem der EU. Wie lange noch? Droht in den Querelen der Nationalitäten unterzugehen, im Spaltpilz des Eigennutzes, der sich wie ein Mycel einnistet in Herz und Hirn und Politik und bis in die ­Werbesprüche einer selbstsüchtigen Gesellschaft wuchert: Weil ich es mir wert bin.

Bruderkrieg, Stammeskrieg, Völkerkrieg, Diktatorenkrieg und die Kriege der vom Wahnsinn der Macht und Gier Getriebenen durch alle Jahrhunderte: In jeder Gegenwart stehen sie neu auf. Über dreißig engbeschriebene Seiten zieht sich das Wort „Krieg“ im Grimm’schen Wörterbuch. Kriegsamt, Kriegsanführer, Kriegsangst, Kriegsbegeisterung, Kriegsbeute und Kriegsbraut, Kriegsgefahr und Kriegsgeschäft usw. bis zu den Kriegstoten.

Sprache ist nicht unschuldig. Sie ist bereitwillige Dienerin jeglicher Lüge, jeglicher Verherrlichung des Tötens und der Umdeutung von Wirklichkeit. „Ich habe Angst bekommen vor der Sprache“, sagt Tanja Maljartschuk, Autorin aus der Ukraine, die seit 2011 in Wien lebt, in ihrer Rede zum Ingeborg-Bachmann-Preis 2023 angesichts von Putins Angriffskrieg gegen ihre Heimat, „… Angst vor der Sprache, die Millionen von mehrheitlich friedlichen Bürgern überzeugen kann, im Recht zu sein, andere zu ermorden.“ Und weiter: „Ich möchte, dass sie verlieren, sämtliche Sorten von Umbringern, Auslöschern und Gaunern, und dass der Tag komme, wo …“

Ein einfaches Wort, der große Traum: Frieden

Am Ende dieses Satzes stehen nur drei Punkte. Wir wissen, was gemeint ist. Ein einfaches Wort, der große Traum: Frieden. Er schlösse Liebe ein, Freiheit von Gewalt und Terror, er würde Einander-Verstehen und die Achtung von Grenzen einfordern und eine Sprache, die sich nicht korrumpieren ließe. Im Namen Gottes, einer Religion, eines diktatorischen Millionenmörders, einer Ideologie oder einer Heilsbotschaft ist durch alle Jahrhunderte auf allen Kontinenten Krieg gemacht, sind Menschen als Tiere oder Untermenschen bezeichnet und ihr Leben und ihr Land verwüstet worden. Wir könnten es wissen. Aber wir halten uns lieber an die bittere Wahrheit, dass die Menschen nichts aus der Geschichte lernen.

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