Gastkommentar

Woran erkennt man Antisemiten?

Peter Kufner
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Der Begriff „Antisemitismus“ wird von vielen Menschen missverstanden. Seit den Verbrechen der Hamas in Israel ist er wieder in aller Munde. Es erscheint daher wichtig, den antisemitischen Judenhass zu definieren.

Der Antisemitismus ist ein uraltes und scheinbar unausrottbares Phänomen. Obwohl heute in Österreich, als Folge des Holocausts, nur noch rund 15.000 Juden – fast ausschließlich in Wien – leben, zeigen alle repräsentativen Umfragen der vergangenen Jahrzehnte, dass sich an der negativen Grundeinstellung weiter Kreise der Bevölkerung zum Judentum nicht viel geändert hat.

Der Schöpfer des Begriffs „Antisemitismus“ war der Schriftsteller Wilhelm Marr; er gründete 1879 die erste antisemitische politische Vereinigung des deutschen Kaiserreichs, die „Antisemitenliga“. Der Begriff „Antisemitismus“ wird als feindliche Einstellung gegenüber Juden als Personen oder dem Judentum als Konfession definiert. Antisemitismus – ein geläufiger, aber unsinniger Ausdruck, da Judentum mit Rassenzugehörigkeit nichts zu tun hat – ist zwar „nur“ noch bei einem harten antisemitischen Kern von bis zu 15 Prozent der christlichen Österreicher und Deutschen deutlich ausgeprägt – bezeichnenderweise besonders in Gebieten, wo überhaupt keine Juden leben oder je gelebt haben. Weit höher hingegen ist, wie verschiedene Umfragen zeigen, der Prozentsatz von Antisemiten unter Muslimen der zweiten und dritten Generation in Europa.

Antijudaismus hat Tradition

Antijüdische Vorurteile hingegen, ohne ausgesprochene Hassgefühle gegen Juden, finden sich, wenig überraschend und je nach Fragestellung, bei mindestens 50 Prozent der Befragten. Das bedeutet aber auch, dass nicht jeder Mensch, der bestimmte antijüdische Vorurteile hegt, automatisch Antisemit ist, weil Vorurteile nicht zwangsläufig zu feindlichen Gefühlen führen müssen.

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Antijudaismus (also die korrekte Bezeichnung des Phänomens der Ablehnung des Judentums aufgrund religiöser Vorurteile) hat in christlichen Ländern eine fast 2000 Jahre alte Tradition. Typische Antijudaismen im Neuen Testament sind etwa: „geldgierige Gesellen“ (Mk 12,32–37); „Gottes- und Prophetenmörder“ und „Feinde aller Menschen“ (Lk 11,48 und Thes 2,14ff); „Kinder des Teufels“ (Joh 8,37–44); „Diebe und Heuchler“ (Röm 2,22–37); „Schlangenbrut“ (Lk 3,7); „Schlangen“ (Lk 3,7). Gleichartige Beschimpfungen gegen Juden finden wir im Koran und den Hadithen. Dort werden Juden auch als „Nachkommen von Affen und Schweinen“ bezeichnet. Es kann daher nicht bestritten werden, dass der „moderne“ antisemitische Judenhass eng mit dem uralten Antijudaismus der heiligen Schriften (Neues Testament und Koran) zusammenhängt. 

Neuanfang des Christentums

Doch das Christentum des 20. und 21. Jahrhunderts hat längst einen Neuanfang gesetzt und sein Verhältnis zum Judentum großteils neu definiert. Die Kirchen vertreten heute die Lehre, dass es keine Kollektivschuld der Juden geben kann für das, was vor 2000 Jahren mit Jesus geschah, dass die Juden nicht von Gott verstoßen und der alte Bund von Gott nie aufgekündigt wurde.

Sie bekräftigen, dass Jesus, Maria und alle Apostel Juden waren, dass die Aufforderung zur Nächstenliebe ein Eckpfeiler der hebräischen Bibel – auch „Altes Testament“ genannt – ist (siehe Lev 19,33–34; Dtn 10,19 und 27,19) und dass es zwischen Judentum und Christentum eine Art Mutter-Tochter- bzw. Geschwisterbeziehung („älterer und jüngerer Bruder“) gibt.

Neben dem bereits besprochenen religiösen Antijudaismus gibt es aber noch andere Formen der Judenablehnung. Bekannt sind: der soziale Antisemitismus („jüdische Machenschaften im Handel und im Geldverkehr“), der politische Antisemitismus („Beherrschung der Welt“) und – seit einigen Jahrzehnten – der antizionistische Antisemitismus, gekennzeichnet durch die „3 D“ des Nathan Sharansky, wobei die „D“ für Dämonisierung Israels, Delegitimierung des jüdischen Staates und Doppelstandard der Kritik stehen. Einzelmerkmale dieser neuartigen Variante des Antisemitismus, bei der man die Zionisten beschimpft und in Wirklichkeit „die Juden“ meint, sind: Ablehnung des Existenzrechts des jüdischen Staates; Verneinung des Anspruchs von Juden auf nationale Selbstbestimmung (auch Leugnung der Verbindung des Judentums mit dem Land Israel); Vergleiche von Israel mit Nazideutschland; Negierung des Holocaust; Projektion der Politik Israels auf das Verhalten aller Juden der Welt; und das Gutheißen von Anschlägen gegen unschuldige Personen jüdischer Abstammung in- und außerhalb von Israel. Diese Art des offenen und latenten Antisemitismus ist besonders bei Rechts- und Linksextremisten zu finden, aber auch im Rahmen des weltweit agierenden fundamentalistischen Islam.

Dass Juden und Christen in islamischen Staaten weder diskriminiert noch verfolgt wurden, ist ein schönes Märchen. „Ungläubige“ – Juden und Christen – hatten in der gesamten arabischen Welt stets den Status von Dhimmis. Sie galten als Bürger zweiter Klasse, mussten eine Kopfsteuer entrichten und wurden auch bewusst gedemütigt. Es war ihnen u. a. verboten, Waffen zu tragen, sie durften keine Pferde reiten (sondern nur Esel im seitlichen Damensitz), sie waren gezwungen, eine spezielle Kleidung zu tragen, ihre Gotteshäuser mussten stets niedriger gebaut werden als Moscheen, sie konnten bestimmte Berufe nicht ergreifen, durften keine muslimischen Frauen heiraten. 

Judenhetzer Amin Al-Husseini

Antijüdische Massaker und Zwangsbekehrungen zum Islam waren in islamischen Ländern keine Seltenheit. Die Liste derartiger Ereignisse ist lang, auch wenn die Heftigkeit der Pogrome dort im Allgemeinen um einiges geringer war als die in europäischen Staaten. Eine besondere Rolle in der Judenhetze zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte der Großmufti von Jerusalem Amin Al-Husseini, ein enger Freund Hitlers und Mitschuldiger am Tod Zigtausender Juden in Bulgarien und Rumänien.

Doch anders als im modernen Christentum hat sich am Judenhass im arabischen Raum bis heute wenig geändert. Fundamentalisten hetzen dort weiterhin offen gegen Juden und verbreiten antijüdische Hetzschriften wie „Mein Kampf“ oder „Die Protokolle der Weisen von Zion“. So wachsen dort Generationen heran, die antijüdische Verleumdungen schon mit der Muttermilch aufnehmen.

Woran erkennt man einen Antisemiten? Hier kann unterschieden werden zwischen Personen, die ihre Judenfeindschaft offen artikulieren, und solchen Menschen, die weit vorsichtiger formulieren, aber mit leisen Tönen Gleiches sagen wollen. Letztere sprechen gern „von den Mächten der Ostküste“ (womit suggeriert werden soll, „dass die reichen und rücksichtslosen Juden der USA nach der Weltherrschaft trachten“) oder versuchen, Juden als „übermäßig einflussreiche und heimatlose Gesellen“ darzustellen.

Der Antisemitismus ist ein schwer zu behebendes und irritierendes Uraltphänomen, das nur (wenn überhaupt) durch konsequente Erziehung der Jugend, Aufklärung, interkonfessionellen Dialog, öffentliche und gesellschaftliche bzw. politische Ächtung der Hetzer aus der Welt geschafft werden kann. Es reicht jedenfalls nicht, den Antisemitismus nur zu beklagen oder zu verurteilen.

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Beigestellt.

Der Autor

Theodor Much (*1942 in Tel Aviv) lebt seit 1957 in Wien und ist Arzt und Gründer der religiös-liberalen Gemeinde Or Chadasch Wien. Sachbuchautor zu Themen wie Antisemitismus, Antijudaismus, Aberglaube und Fundamentalismus.

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