Geschichte

Im Osten Europas dauerte die Antike länger

Bildausschnitt Buchcover „Byzanz“ (Preiser-Kapeller; C. H. Beck)
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Im Byzantinischen Reich verstanden sich Herrscher und Untertanen stets als Römer. Nach dem Fall Konstantinopels 1453 gab es ein Dokument zum Kaisertitel – und dieses befindet sich in Wien.

Eine einfache Sache oder die sprichwörtliche Elferfrage: Wie lang dauerte die Antike, wann begann das Mittelalter? Zwei Daten werden meistens genannt: Das Jahr 476 mit dem Ende des weströmischen Reiches und – zweitens – der Tod des oströmischen Kaisers Justinian 576. Dazwischen liegt mit 529 ebenfalls ein markantes Jahr. Da hat Benedikt von Nursia die Abtei Montecassino gegründet, die für das mittelalterliche Klosterleben eine Vorbildfunktion erhalten sollte.

Oder erst das Jahr 1204? Der Byzantinist Johannes Preiser-Kapeller sieht mit der in diesem Jahr im Zuge des Vierten Kreuzzugs erfolgten Eroberung Konstantinopels einen bedeutenden Einschnitt. Der Kreuzzug hatte ursprünglich Ägypten zum Ziel, doch die Venezianer lenkten das Heer gegen das mächtige Konstantinopel, das Zentrum der orthodoxen Welt – und damit in der Sicht Westeuropas und des Papsttums das Haupt einer abtrünnigen Kirche. Zwar konnten die in Kleinasien wieder erstarkten Byzantiner Konstantinopel 1261 zurückerobern, doch die Größe, den Glanz und die Macht konnte die Stadt nicht mehr erlangen.

In der westeuropäischen Sicht werde das oströmische Reich, das sich in seiner Blüte über drei Kontinente erstreckte, nicht in seiner ganzen Dimension wahrgenommen, so Preiser-Kapeller. Vor allem führt er die Kontinuität Ostroms ins Treffen. Die Byzantiner hätten sich stets als Römer verstanden und sich auch selbst so bezeichnet. Als Griechisch sprechende Römer eben. Die Antike lebte in den byzantinischen Regionen länger fort.

Goldmengen als Mitgift

Johannes Preiser-Kapeller leitet in der Akademie der Wissenschaften den Forschungsbereich „Byzanz im Kontext“. In dem von ihm nun veröffentlichten Band „Byzanz. Das neue Rom und die Welt des Mittelalters“ wird das oströmische Reich vom 4. bis zum 15. Jahrhundert detailreich nachgezeichnet, die innere Entwicklung und die Lage zwischen der islamischen Welt und dem lateinischen Westen. Frauen aus den byzantinischen Herrscherhäusern waren bei den westlichen Fürsten äußerst begehrt, sie brachten neben dem Glanz Konstantinopels auch ansehnliche Goldmengen als Mitgift mit. Auch zwei Babenbergerherzöge vermählten sich im 12. und 13. Jahrhundert mit byzantinischen Prinzessinnen.

Die Erstürmung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen bedeutete das Ende des byzantinischen Reiches. Geradezu ein Kuriosum der Geschichte ist das Dokument – genauer: das Testament – über die Erbfolge des Kaisertitels. Es befindet sich in Wien, im Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Der letzte Kaiser, Konstantin XI., fand bei der Erstürmung den Tod. Sein Bruder Thomas Palaiologos floh nach Italien. Nun versuchte „sein unter materiellen Nöten leidender Sohn Andreas Palaiologos, den Anspruch auf den römischen Kaisertitel zu Geld zu machen“, sagt Preiser-Kapeller. Nach einem ersten Käufer vermachte Andreas Palaiologos in einem Testament seinen Kaisertitel den spanischen Monarchen Ferdinand II. von Aragon und Isabella von Kastilien. Das Testament ging mit der spanischen Krone an den Habsburger Karl V., den römisch-deutschen Kaiser, und damit nach Wien.

Zwei Jahrhunderte später wollte der Vater Maria Theresias den byzantinischen Kaisertitel wiederum aufleben lassen. Dazu Preiser-Kapeller: „Eine ,Aktivierung‘ des Dokuments erwog kurz Kaiser Karl VI. (reg. 1711–1740), als man nach den großen Erfolgen im Türkenkrieg unter Prinz Eugen meinte, bis Konstantinopel vorstoßen zu können. Aber auch dieser imperiale Traum zerschlug sich.“

 J. Preiser-Kapeller: „Byzanz“, Verlag C. H. Beck, 352 Seiten, 22,62 Euro.
 J. Preiser-Kapeller: „Byzanz“, Verlag C. H. Beck, 352 Seiten, 22,62 Euro.

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