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Erdoğan-Besuch bei Scholz: Der Hamas-Freund im deutschen Kanzleramt

Der deutsche Kanzler (r.) empfing den türkischen Präsidenten mit einem Lächeln.
Der deutsche Kanzler (r.) empfing den türkischen Präsidenten mit einem Lächeln.APA / AFP / Odd Andersen
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Der türkische Präsident Erdoğan provozierte bei seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland seit drei Jahren und wurde persönlich. Dem Eklat wich er aus.

Im Pressefoyer des Kanzleramtes war die Nervosität zu spüren. Würde er es wagen? Würde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf deutschem Boden das Existenzrecht des israelischen Staates in Frage stellen, wie er es in der Türkei getan hatte? Würde er den Israelis erneut „Faschismus“ vorwerfen? Dass sie einen „Völkermord“ durchführen? Und würde er sich trauen, die islamistische Hamas wieder eine „Befreiungsorganisation“ zu nennen?

Diese vier Fragen stellte ihm kurz nach halb sieben am Freitagabend ein Journalist der Deutschen Presseagentur. Für ein paar Sekunden war es, als hielten alle im Kanzleramt die Luft an: Die deutschen und türkischen Journalisten, die Beamten der Delegationen und der deutsche Kanzler, Olaf Scholz, der das türkische Staatsoberhaupt zu seinem ersten Staatsbesuch seit drei Jahren empfangen hatte. Der Deutsche war schon einmal von einem Gast düpiert worden. Im Sommer 2022 war er wortlos neben Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, im Kanzleramt gestanden als dieser den Israelis „50 Massaker, 50 Holocausts“ an Palästinensern vorwarf. Auf deutschem Boden. Scholz verzog das Gesicht, aber sagte nichts. Was ihm prompt als Fehler ausgelegt wurde.

Ein Abbas-Moment wurde dem deutschen Kanzler am Freitagabend erspart. Zwar verzichtete Erdoğan nicht auf Provokationen: Er verglich die Geiseln, die am 7. Oktober von der islamisch-militanten Hamas in den Gaza-Streifen verschleppt wurden, mit Palästinensern, die in Israel in Gefängnissen sitzen. Er versuchte, die deutsche Haltung zu psychologisieren. „Wir haben keine Schulden bei Israel“, sagte er laut der Übersetzung eines Dolmetschers. „Wir sind nicht durch den Werdeganges eines Holocausts gegangen“. Und auf kritische Fragen wurde er persönlich. „Ich als Muslim störe mich daran“, sagte Erdoğan über in der israelischen Offensive in Gaza getötete Palästinenser und zerstörte Viertel. „Sie als Christ, stört es Sie nicht, dass Kirchen zerbombt werden?“ Am Ende unterstellte er einem deutschen Journalisten, die Türkei bedroht zu haben.

„Existenzrecht Israels ist unumstößlich“

Nur die Worte, die der deutsche Kanzler nicht tolerieren, die er ihm nicht durchgehen lassen konnte, sagte Erdoğan nicht: kein Infragestellen des Existenzrechts Israels, kein Lob für die Hamas, keine Relativierung des Holocausts, kein Eklat. Olaf Scholz spulte seinen Part gewohnt nüchtern ab.

Erst dankte er Erdoğan für seine Vermittlerrolle zwischen der Ukraine und Russland in der Frage der Getreideexporte. Er nannte den Überfall der Hamas einen „barbarischen Terrorakt“ und betonte das Recht der Israelis, sich zu verteidigen. „Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstößlich“, sagte Scholz. In Deutschland gäbe es „keinen Platz für Antisemitismus“, gleichzeitig stellte er sich gegen Vorverurteilungen gegen die fünf Millionen Muslime im Land.

Nach dem halbstündigen Auftritt zogen sich die beiden im Kanzleramt zu Gesprächen und einem gemeinsamen Abendessen zurück. Dabei wollten sie unter anderem über Visa-Liberalisierungen, die Migrationsfrage und die wirtschaftliche Zusammenarbeit sprechen. Kurz vor dem Besuch wurde außerdem bekannt, dass die Türkei sich 40 Eurofighter anschaffen will. Weil Deutschland an der Produktion beteiligt ist, könnte es einen Export aus anderen europäischen Ländern verhindern. Erdoğan erwähnte den in weite Ferne gerückten EU-Beitritt der Türkei. Scholz sagte dazu nichts.

Bereits am Nachmittag hatte sich der türkische Präsident mit seinem deutschen Counterpart, Frank-Walter Steinmeier, getroffen. Der hatte ihn mit ernster Miene empfangen. Zumindest ein Bild blieb der deutschen Spitzenpolitik aber erspart: Obwohl am Samstag die deutsche Fußballnationalmannschaft im Berliner Olympiastadion gegen die türkische antritt, sollte der als großer Fußballfan bekannte Erdoğan bereits in der Freitagnacht abreisen.

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