Culture Clash

„Queers for Palestine“? So absurd ist das nicht

Aber verheerend ist die Ideologie, die die Welt in Gruppen einteilt, die ausschließlich unterdrücken oder unterdrückt werden.

Ein britischer Kommentator nannte den nun wieder häufig auf Demos auftauchenden Slogan „Queers for Palestine“ eine „Todessehnsucht“. Ähnlich der deutsche Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet: „Sie würden es nicht überleben, mit einer Regenbogenfahne durch Gaza zu laufen.“ Die Solidarität mit einem notleidenden, wenn auch queer-aversen Volk, ist hier aber weniger absurd als das Denkmuster des Intellektuellenmilieus hinter dem Slogan, das Gemenge aus sogenannten kritischen Theorien und „Studies“, die eines verbindet: Sie konstruieren die Welt als eine, in der es nur unterdrückende und unterdrückte Gruppen gibt.

In jener Welt ist Israel ein „faschistischer Siedler-Kolonisten-Staat“ – die Bösen. Die Palästinenser sind Opfer – die Guten. Sind sie homophob, hat das mit ihrer Unterdrückung zu tun. Dass Israel eine Zuflucht für queere Palästinenser ist (auch die einzigen beiden palästinensischen LGBTQ-Organisationen haben dort ihren Sitz), ist kein Verdienst, sondern „Pinkwashing“ oder „Homonationalismus“, ein Missbrauch von LGBTQ-Rechten zur Tarnung. In den Augen der Avantgarde der Marginalisierten gibt es nichts Gutes bei den Bösen. Und keine Guten: Sämtliche Juden der Welt sind „weiß“ und alle Palästinenser „People of Color“. 

Diese „kritische“ Weltsicht sieht die Unterdrückung als strukturell so tiefsitzend an, dass evolutive Verbesserungen sinnlos sind, ein Beschwichtigungstrick der Mächtigen. Es braucht die Revolution. Vom Makel der Zugehörigkeit zu den Bösen kann sich nur befreien, wer Selbstkritik übt, Buße tut und die Revolution unterstützt. Da kann es schon passieren, dass man nicht nur mit Palästina solidarisch tut, sondern auch mit dessen Terrorbanden. So erklärte die linke Gendertheoretikerin Judith Butler 2006 – als die Hamas schon Hunderte Zivilisten ermordet und immer wieder Friedensprozesse hintertrieben hatte -, wie „ungeheuer wichtig“ es sei, „Hamas und Hisbollah als gesellschaftliche Bewegungen zu verstehen, die progressiv, links und ein Teil der globalen Linken sind“. Dieser Tage verurteilte Butler zwar das Pogrom vom 7. Oktober, wies aber darauf hin, dass man das nicht ohne Bezug auf den Kontext tun könnte, und da ist dann doch Israel das eigentliche Böse.

Anständiger, konkreter Einsatz für Gerechtigkeit ist etwas anderes als der aus der Studierstube oder der geschützten Demo heraus skandierte Klassenkampf – der in seiner Verachtung für schrittweise Reformen, wie die Philosophin Martha Nussbaum schon 1999 in einem vielbeachteten Essay schrieb, „mit dem Bösen kollaboriert“.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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