Gastkommentar

Eines der drängendsten Themen unserer Zeit

Peter Kufner
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Warum das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien und Bulgariens aus vielen Gründen kurzsichtig ist.

In der aktuellen weltpolitischen Lage mag es seltsam anmuten, den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien als eines der drängendsten Themen unserer Zeit zu bezeichnen. Bei der Komplexität der multiplen Herausforderungen – Pandemie, Krieg, Inflation – ist die Thematik geradezu simpel: Beide Länder erfüllen die Kriterien für die Mitgliedschaft seit 2011, der Beitritt zum Schengen-Raum scheiterte dennoch zuletzt an dem Veto insbesondere der Bundesregierung in Wien.

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Nun kann man bei einer so wichtigen Angelegenheit wie dem Schutz der Außengrenzen durchaus die nationale Souveränität für primär erachten, in der gegebenen Problematik fehlt allerdings genau das – nämlich eine Außengrenze. Österreich ist umgeben von Mitgliedern des Schengener Abkommens. Die aus Wien nach Sofia und Bukarest kommunizierten hohen Asylzahlen als Grund für den Einspruch überzeugten schon im vergangenen Jahr nicht wirklich, da in derselben Entscheidung Kroatien ein Beitritt gewährt wurde. Im Vergleich zu 2022 sind die Asylanträge um 40 Prozent zurückgegangen, überhaupt kommen laut rumänischer Botschaft lediglich zwei Prozent der Asylsuchenden in Österreich über Rumänien.

Die Realität ist ernsthafter

In Wien rechtfertigt man das Festhalten am Veto mit dem kaputten Schengen-System. Bei einer Veranstaltung des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) zur Zukunft des Schengen-Raums wies Sektionsleiter Georg Stillfried vom Außenministerium darauf hin, dass elf der 27 teilnehmenden Staaten (die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen, Schweiz, Island und Liechtenstein nehmen ebenfalls teil, die EU-Mitglieder Zypern und Irland dagegen nicht) wieder Binnengrenzkontrollen eingeführt haben. Das stimmt zwar, diese sind aber nicht mit denen an den Außengrenzen vergleichbar. Der rumänische Botschafter Emil Hurezeanu machte bei der gleichen Veranstaltung daraufhin den Vorschlag, sein Land in das Abkommen aufzunehmen. Unmittelbar danach könnten Binnengrenzkontrollen eingeführt werden.

Die Realität an den Außengrenzen des Schengen-Raums ist aber ernsthafter. Durchschnittlich warten Lkw sechs Stunden an der bulgarisch-rumänischen Grenze, merkt die bulgarische Botschafterin Desislava Naydenova-Gospodinova bei der Diskussion am IDM an. Zwischen Oberösterreich und Bayern sind es 20 Minuten. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern kostet auch Geld und macht Waren teurer.

Das Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ist aber auch aus weiteren Gründen kurzsichtig. Die eigentlich guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und den beiden Schwarzmeer-Anrainerstaaten werden unnötig belastet. Dies sieht auch die WKÖ laut Statement auf ihrer Website so. Zudem wird Rumänien ab 2027 zum größten Gasproduzenten innerhalb der EU aufsteigen. Am sogenannten „Neptun Deep“-Projekt ist auch die OMV beteiligt. Bei anhaltenden angespannten diplomatischen Beziehungen könnte dies durchaus infrage gestellt werden.

Noch spricht, ja scherzt man miteinander, bei anhaltender Blockade drohen aber nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen. Euroskeptizismus und Frustration gerade bei jüngeren Wählerinnen und Wählern könnten Populisten weiter Auftrieb bei den anstehenden Europawahlen im kommenden Jahr geben. Und in Österreich und Rumänien wird 2024 auch auf nationaler Ebene gewählt.

Beitritt wäre relativ risikoarmer Schritt

Bulgarien dagegen hat Wahlen bereits hinter sich. Nach den Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 ist seit Juni eine proeuropäische Regierung an der Macht. Das Vertrauen zwischen den Koalitionspartnern GERB und PP-DB ist gering, sie einen vor allem zwei Ziele: Sie wollen das Land in naher Zukunft sowohl in den Euro- als auch in den Schengen-Raum führen. Die anhaltende Unterstützung für den proeuropäischen Kurs Bulgariens wurde auch in den zuletzt abgehaltenen Kommunalwahlen deutlich. Weder die prorussische Linke noch die nationalistische Rechte konnte signifikante Zugewinne erlangen. Doch bei ausbleibenden Fortschritten in Richtung Euro und Schengen wird es aufgrund großer koalitionsinterner Zwiste und einer möglichen schwindenden Unterstützung in der Bevölkerung schwierig werden, die Stabilität der Regierung aufrechtzuerhalten.

Europäische Integration benötigt mehr als nur Ankündigungen. Konkrete Ergebnisse sind dringend notwendig. Der Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien ist dabei ein relativ risikoarmer Schritt mit vergleichsweise großer Symbolkraft – anders als dies zum Beispiel bei einem EU-Beitritt der neuen Kandidatenstaaten der Fall wäre. Genau dies macht ihn eben zu einem der drängendsten Themen unserer Zeit.

Die Grenzbeamtinnen und -beamten an den Außengrenzen verdienen, dass ihnen das Vertrauen ausgesprochen wird, das die Zahlen der Europäischen Kommission belegen. Wie der Referatsleiter der für Schengen Governance zuständigen Generaldirektion, Tom Snels, bei der Diskussion sagte: „Wir brauchen mehr auf Fakten basierende Politikgestaltung statt auf Politik basierende Faktengestaltung.“

Laut dem bulgarischen Ministerpräsidenten Nikolaj Denkow könnte der Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zudem die EU-Außengrenzen sogar stärken. Nach seinem Besuch in Wien im Oktober 2023 und einem Treffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer, bei dem dieser weiter auf eine Reform des Schengen-Systems vor etwaigen Erweiterungen pochte, gab Denkow zu bedenken, dass bei einem Schengen-Beitritt Bulgariens das Personal, das bisher an den Grenzen zu Rumänien und Griechenland die Grenzübergänge schützt, dann zusätzlich an der bulgarisch-türkischen und der bulgarisch-serbischen Grenze eingesetzt werden könnte.

Für die durchaus berechtigten Sorgen der österreichischen Regierung in Bezug auf viele Asylanträge muss eine europäische Lösung gefunden werden. Diese darf nicht auf Kosten von Bulgarien und Rumänien geschehen.

Hoffnung auf den 4. Dezember

Oder wie der ebenfalls anwesende kroatische Botschafter Daniel Glunčić erklärte: Ein Rückfall auf den Nationalstaat wäre ein gefährlicher Weg, Probleme zu lösen, man könnte durchaus etwas für sein Land und für Europa tun. Es bleibt zu hoffen, dass der darauf gefolgte Applaus auch beim Gipfel der EU-Innenminister am 4. Dezember gehört wird. Dort könnte die Erweiterung des Schengen-Raums auf 29 Mitglieder beschlossen und damit Kapazitäten für weitere drängende Probleme unserer Zeit freigemacht werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autoren

Sophia Beiter, BA BA ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien und hat Slawistik, Germanistik und Sprachwissenschaft an der Universität Wien studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Schwarzmeerregion und Sprachpolitik.

Mag. Sebastian Schäffer, MA ist Politikwissenschaftler und Direktor des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien sowie Generalsekretär der Danube Rectors‘ Conference (DRC). Er publiziert regelmäßig zur Zukunft der europäischen Integration, zur EU-Erweiterung sowie zur regionalen Kooperation in Mittelosteuropa.

Sophia Beiter
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