Austria‘s Leading Companies

Harald Mahrer: „Wunschvorstellung der 32-Stunden-Woche ist für die Märchenstunde“

Präsident Harald Mahrer: „Wir haben eine zunehmende Intensivierung im globalen Standortwettbewerb.“
Präsident Harald Mahrer: „Wir haben eine zunehmende Intensivierung im globalen Standortwettbewerb.“Clemens Fabry
  • Drucken

Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer sagt, die Nachfrage nach Österreichs Produkten sei noch ungebrochen hoch. Aber der Standort brauche mutige Entscheidungen.

Die Presse: Herr Präsident, wir befinden uns in einer Rezession, deren Verlauf im kommenden Jahr uneinheitlich gesehen wird. Die Wirtschaftsforschungsinstitute meinen, es geht 2024 wieder aufwärts, viele Industriebetriebe sehen im nächsten Jahr kein Wachstum. Welches Szenario halten Sie für wahrscheinlicher?

Harald Mahrer: Es gibt viele globale Einflussfaktoren, die Prognosen schwer machen, und damit Planungsunsicherheit. Man muss die notwendige Flexibilität haben, alles dafür tun, jede Chance auf dem Markt nützen, damit wir uns positiv nach vorn bewegen. Das bedeutet, jede noch so kleine Chance auf den Exportmärkten zu nützen. Es wird keine leichte Zeit werden in den nächsten Jahren. Auch die neue Konfliktsituation im Nahen Osten hat nicht dazu beigetragen, dass die Energiepreise über Nacht runtergehen. Es werden die Energiepreise eher nachhaltig höher bleiben. Auch der Arbeitsmarkt ist ein großes Thema. Unser Problem: Stichwort Arbeitskräftemangel, Babyboomer gehen vermehrt in Pension, es kommen geburtenschwächere Jahrgänge nach, das macht die Lücke auf dem Arbeitsmarkt größer.

Das bedeutet zusätzliche große Herausforderungen…

Ja, und die zunehmende Digitalisierung, die ja nicht nur bei uns stattfindet, sondern rund um den Globus, bringt neue Wettbewerber aus neuen Regionen und setzt damit den gesamteuropäischen Standort unter Druck, und damit auch Österreich. Unabhängig von einer rezessiven Entwicklung oder nicht ist da ein unangenehmer Cocktail angerichtet.

Was sollten die Unternehmen tun?

Ich muss umso mehr Flexibilität an den Tag legen, umso beweglicher sein, umso mehr nach Nischen suchen. Und umso mehr wird es wichtiger, dass ich versuche, in eine ­Lead-Rolle zu kommen. Die, die smart sind, die sich bewegen, die fleißig sind, die tatsächlich um jeden Euro Umsatz kämpfen, die werden Chancen haben. Die, die glauben, sie können sich zurücklehnen und sagen, der Sturm, der zieht da einfach vorüber, die werden es schwer haben.

Österreich hat sich mit der relativ hohen Inflation in eine besonders schlechte Stellung gebracht. Und die hohe Zinssituation, ausgelöst durch die EZB, tut uns nächstes Jahr sehr weh.

Das ist im Gesamtkonstrukt der Eurozone zu sehen. Die Geldpolitik der EZB hat durch diese Zinsschritte beabsichtigt, die Inflation wieder hinunterzubringen. Die Frage ist: Wie entwickelt sich das in der Eurozone in den kommenden Monaten? Wohin geht die Inflation? Nicht nur im Schnitt, sondern wirklich in allen Ländern? Und vor allem, was macht der wichtigste Wirtschaftsmotor des Kontinents, Deutschland, an dem sehr viel unserer Exporttätigkeit hängt. Das ist eine Gleichung mit vielen Variablen und mit vielen wechselseitigen Abhängigkeiten. Aber wir wissen von unseren Betrieben, die in der Exportwirtschaft tätig sind, dass die Nachfrage nach österreichischen Produkten noch ungebrochen hoch ist.

Im Frühling haben wir uns noch gerühmt, wirtschaftlich besser als Deutschland dazustehen. Schaut man sich heute die Wirtschaftsdaten an, sind die Nachbarn wieder deutlich stärker unterwegs, und wir hängen jetzt nach.

Wir dürfen uns da nicht primär mit Deutschland vergleichen, sondern müssen uns mit anderen Weltregionen vergleichen, wo zunehmend der neue Wettbewerb entsteht. Wenn unsere führenden Betriebe, die international erfolgreich sind, sagen, ich habe ständig neue Mitbewerber aus Mexiko, aus Malaysia, Indonesien, aus Vietnam, die ich die letzten zehn, 15 Jahren nicht hatte, dann muss uns das zu denken geben. Und diese Mitbewerber haben nicht nur wir, diese Mitbewerber haben auch die Deutschen, die Italiener, die Niederländer… Das heißt, wir haben eine zunehmende Intensivierung im globalen Standortwettbewerb. Daher werden diese Fragen „Wie wettbewerbsfähig bin ich?“ und „Zu welchem Preis-Leistungs-Verhältnis kann ich mein Produkt auf einem anderen Weltmarkt positionieren?“ umso wichtiger. Es hilft mir der Vergleich mit Deutschland nicht, ob die zwei Zehntel Prozentpunkte in der zukünftigen Wirtschaftsleistungsprognose vor oder hinter uns sind, sondern für uns ist relevant, was auch außerhalb der europäischen Grenzen passiert. Weil dort die Dynamik größer ist, das Wachstumspotenzial größer ist, und damit sind die zukünftigen Absatzmöglichkeiten größer.

Die angesprochene Wettbewerbsfähigkeit geht Österreich laut vielen Industriebetrieben gerade flöten. Sie sagen unter anderem, wir haben die höchsten Lohnstückkosten in ­Europa. Unser Standort wird immer unattraktiver.

Genau das ist die große Frage, die sich im EU-Wahlkampf 2024 wird stellen müssen. Was will Europa? Will Europa ein Produktionsstandort sein? Wenn ja, dann wird man nicht die ganzen Standortkosten ins Unermessliche schrauben können. Das sind nicht nur die Arbeitskosten, das sind auch die Energiekosten, die gesamten Bürokratiekosten, die man mitdenken muss. Und das ist unsere Botschaft: Das entwickelt sich nicht in die richtige Richtung. Eine relativ hohe Steuer- und Abgabenquote schafft zwar die Möglichkeit, ein stabiles und gutes Sozialsystem zu haben. Aber wenn die Belastung auf der finanziellen Ebene zu groß wird, dann nehme ich die notwendigen Freiräume, reinvestieren zu können, und dann wird es eng.

Was bedeutet, die Unternehmen investieren anderswo?

Dann schauen die Kalkulationen so aus, dass man als Unternehmer gesagt hat: „Okay, ich tätige eine Erweiterungsinvestition in einem anderen Land.“ Wir sehen das ja gerade in Deutschland. Die Investitionen werden zum Teil gar nicht mehr in der Eurozone, geschweige denn in der Europäischen Union getätigt, sondern die gehen dann einfach in die USA, weil dort die Standortbedingungen in Summe attrak­tiver sind. Und da müssten bei allen europäischen Politikerinnen und Politikern die Alarmglocken läuten. „Entlasten und nicht belasten“ ist das Stichwort.

SP-Chef Andreas Babler spricht auch von Entlasten und propagiert die ­32-Stunden-Woche – was der Wirtschaft in Zeiten von Personalmangel besonders aufstößt.

Diese Wunschvorstellung einer 32-Stunden-Woche ist etwas für die Märchenstunde. Wenn ich überall weiß, dass Menschen an allen Ecken und Enden fehlen, dann werde ich eine Debatte darüber führen müssen, ob es nicht notwendig ist, mehr statt weniger zu arbeiten. Das ist eine unangenehme Wahrheit. Aber wenn wir dieses Wohlstandsniveau im Land erhalten wollen und für Kinder und Enkelkinder weiterentwickeln wollen, dann wird jeder und jede vermutlich ein kleines bisschen mehr machen müssen, damit sich das ausgeht.

Neben Arbeitszeitdebatte, hohen Lohn- und Energiekosten belasten auch die ,überschießenden Klimaziele‘. Niemand ist naturgemäß gegen Klimaschutzmaßnahmen, aber wir haben in Österreich und Europa schon viele Regulatorien. Anderswo hat man den ganzen Zirkus nicht.

Ja, das stimmt. Und Ziele sind wichtig. Ich brauche nur einen realistischen Pfad, diese zu erreichen, ohne dass ich mich standortpolitisch aus dem Wettbewerb nehme. Ich glaube, das ist die entscheidende dazu notwendige Aussage. Das bedeutet, dass, wenn ich A sage, ich will bestimmte Zielsetzungen haben, auch B alles dafür Notwendige tue, damit diese realistisch erreichbar sind, ohne Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Klingt einfach. Passiert aber so nicht.

Ein Beispiel: Wenn ich einen massiven Ausbau im Bereich der Elektromobilität möchte oder des Einsatzes von Strom, der vor allem erneuerbar erzeugt werden soll, dann brauche ich die dafür notwendigen Leitungsnetze. Ich kann also nicht Genehmigungsverfahren haben, die es über Jahre hinweg verunmöglichen, solche Hochleistungsnetze in einem viel größeren Ausmaß zu errichten, inklusive der Netzerneuerung. Ich muss mit einer anderen Form von Mut, Prio­ritätensetzung, Investitionsbereitschaft – vor allem von der öffent­lichen Hand – Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Ziele realistisch erreichbar sind. Und da muss man in den nächsten Jahren gänzlich anders handeln, als man bisher gehandelt hat.

Könnte man dafür nicht schnell und mutig gesetzliche Regelungen treffen, um zum Beispiel Umweltverträglichkeitsprüfungen zu beschleunigen, oder dass nicht alles von Bürgerinitiativen beeinsprucht werden kann.

Selbstverständlich. Ich muss nur den politischen Mut dazu haben und darf dann nicht zuerst sagen: „Ich mache das, es ist wichtig, dass wir das tun.“ Und andererseits dann jeden Tag den Umweltschutz ins Treffen bringen, warum man das nicht macht. Das ist genau, was ich seit Jahren kritisiere. Diese Scheinheiligkeit zu sagen: „Ich will diesen Ausbau“, aber erfinde dann jeden Tag 30 Argumente und unterstütze eine Bürgerinitiative, warum man das nicht macht. Somit das klassische österreichische Floriani-Prinzip „Ich bin dafür, aber bitte nicht bei mir“. Das wird sich nicht ausgehen. 

Muss man das mit einem Regierungsbeschluss schaffen?

Mit einer breiten Parlamentsmehrheit. Denn entweder es wollen alle in unserem Land, dass wir weiter ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort sind, ein gutes Sozialsystem haben, mit einer wunderbaren Natur. Dann muss man dafür auch die notwendigen Entscheidungen treffen und sich nicht davor drücken und immer wieder andere Argumente ins Treffen führen.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.