Gastkommentar

Antisemitismus: Benennen, woher die Gefahr kommt

Peter Kufner
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Soll der 7. Oktober als der Tag in die Geschichte eingehen, der den Exodus der jüdischen Bevölkerung aus Europa ausgelöst hat?

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel kommt es europaweit zu einem massiven Anstieg des Antisemitismus. Viele Jüdinnen und Juden vermeiden es seither, sichtbare Zeichen ihres Glaubens zu tragen oder in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen, und sie entfernen Mesusot von Türrahmen.

Veranstaltungen werden abgesagt, und bei Kundgebungen werden Teilnehmer gebeten, auf dem Heimweg keine Israel-Fahnen zu zeigen. Eine Bevölkerungsgruppe lebt mitten unter uns in Angst. Wo bleibt der Aufruf des Bundespräsidenten an alle Bürgerinnen und Bürger, aus Solidarität einen Davidstern zu tragen?

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Seit mehreren Jahren schon häufen sich Berichte darüber, dass Juden Europa verlassen, weil sie sich hier nicht mehr sicher fühlen. Frankreich haben bereits 150.000 Juden den Rücken gekehrt. In einer Erhebung der EU-Grundrechteagentur aus dem Jahr 2018 gaben 31 Prozent der österreichischen, sowie 44 Prozent der französischen und der deutschen Juden und Jüdinnen an, an Auswanderung zu denken.

Entwicklung ist nicht neu

Auch wenn die Situation in Österreich noch besser ist als in vielen anderen europäischen Staaten, kann es nur als erschreckend bezeichnet werden, dass ein Drittel der jüdischen Bevölkerung an Emigration denkt. Das war noch vor dem 7. Oktober. Seither ist auch in Österreich ein massiver Anstieg des Antisemitismus zu verzeichnen, und immer öfter hört man in persönlichen Gesprächen das Wort „Auswanderung“.

Das ist nicht nur ein Problem der jüdischen Bevölkerung. Ein Staat, der nicht in der Lage ist, alle seine Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zu schützen, verliert seine Legitimität. Denn der Staat, so John Locke, bezieht seine Legitimität allein aus der Gewährung dieses Schutzes. Staat und Gesellschaft stehen also aktuell vor der Aufgabe, dem Antisemitismus, der sich nahezu ungehindert Bahn bricht, mit aller Macht entgegenzutreten. Dazu ist es jedoch unerlässlich, offen und ehrlich zu benennen, woher die Gefahr kommt.

Wenn heute Veranstaltungen abgesagt werden oder der „Licht der Hoffnung“- Marsch am 9. November nur eine kurze Strecke auf dem Heldenplatz zurückgelegt hat, statt mitten durch die Innenstadt zu ziehen wie in den vergangenen Jahren, dann nicht aus Furcht vor rechten Schlägern, sondern aus Angst vor Übergriffen durch muslimische Antisemiten oder aus Sorge vor einem islamistischen Anschlag.

Das ist keine neue Entwicklung. In den Berichten der Meldestelle der Israelischen Kultusgemeinde sind Muslime als Täter in den Kategorien „physische Angriffe“ und „Bedrohungen“ schon seit Längerem signifikant überrepräsentiert. Von den 14 physischen Übergriffen des Jahres 2022 konnten neun einem muslimischen Täter zugeordnet werden und drei einem rechten Angreifer.

Das deckt sich mit den Ergebnissen der genannten Untersuchung der EU-Grundrechteagentur. Auf die Frage nach dem Täter des ernsthaftesten antisemitischen Vorfalls, den die Befragten erlebt hatten, antworteten 30 Prozent, der Täter sei ein muslimischer Extremist gewesen, 31 Prozent konnten den Täter nicht zuordnen, 21 Prozent ordneten ihn im linken Spektrum ein und nur 13 Prozent im rechten.

Tödliche Angriffe auf Juden in Europa gingen in den vergangenen 20 Jahren ausschließlich von Tätern mit islamistischem Hintergrund aus. Sämtliche Studien der vergangenen zehn Jahre belegen, dass Antisemitismus unter Muslimen signifikant stärker verbreitet ist als in der übrigen Bevölkerung.

Überschaubare Reaktionen

Dabei kommt es, auch das zeigen Berichte von Demonstrationen der vergangenen Wochen, auch zu einer Identifizierung mit dem Nationalsozialismus und seinen Symbolen. Ein gesprühtes Hakenkreuz kann heute nicht mehr umstandslos einem rechten Täter zugerechnet werden.

Der kürzlich verstorbene Yusuf al-Qaradawi etwa, der Spiritus Rector der Muslimbruderschaft, war ein glühender Hitler-Verehrer, weil es diesem gelungen sei, „die Juden zurechtzuweisen“. Der Holocaust sei eine Strafe Gottes an den Juden gewesen, und al-Qaradawi verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass diese Strafe beim nächsten Mal „durch die Hand der Gläubigen“ erfolge.

Bisher sind die politischen Reaktionen auf die antisemitische Welle in Europa überschaubar. Es geht um eine Entscheidung, die heute getroffen werden muss: Wollen wir als Gesellschaft zulassen, dass Juden nach und nach aus Europa vertrieben werden? Oder wollen wir das verhindern?

In diesem Zusammenhang sollte es Konsens sein, dass etwas gravierend falsch läuft, wenn Zuwanderung dazu führt, dass anderen Gruppen der Bevölkerung das Leben unerträglich gemacht wird. Um den grassierenden Antisemitismus wieder einzudämmen sind schnelle und vor allem auch repressive Maßnahmen erforderlich. Mehr Sozialarbeit und Aufklärung, so wichtig sie sind, werden kurzfristig kaum Wirkung entfalten können.

Die Einwanderung steuern

An vielen Schulen ist diese Arbeit ohnehin kaum mehr möglich, weil sie von muslimischen Schülern und ihren Eltern gezielt sabotiert wird. Antisemitische Straftäter und Straftäterinnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft sollten schon aus generalpräventiven Gründen so schnell wie möglich des Landes verwiesen werden. Und bevor eingewendet wird, es gebe auch viele autochthone Antisemiten. Das stimmt, aber das ist ein schlechtes Argument dafür, noch mehr Antisemiten im Land zu dulden.

Aus dem gleichen Grund sollte die Einwanderung aus mehrheitlich islamischen Staaten massiv eingeschränkt und in erster Linie jenen geholfen werden, die vor Islamismus und Hass auf Andersgläubige, Atheisten, Frauen und Homosexuelle fliehen.

Alle bekannten Untersuchungen belegen, dass Antisemitismus in mehrheitlich islamischen Ländern drei- bis viermal so weitverbreitet ist wie in Europa und sich deutlich offener manifestiert. Er ist in den meisten dieser Länder gesellschaftlicher Mainstream. Laut der weltweiten Studie der Anti-Defamation League (ADL Global 100) hängen 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung antisemitischen Einstellungen an, in der Türkei sind es 69 Prozent, in Ägypten 75 Prozent und in Jordanien 81 Prozent. Mit der Einwanderung aus diesen Ländern kommen aber nicht nur überproportional viele Antisemiten ins Land, sondern, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben, auch der Nahost-Konflikt auf unsere Straßen und in unsere Schulen und Universitäten.

„Nie wieder“ ist jetzt!

Wenn die europäischen Gesellschaften zulassen, dass Juden Europa verlassen, weil ihre Staaten nicht in der Lage sind, lebende Juden zu schützen, dann braucht es in Zukunft auch keine Veranstaltungen mehr, auf denen „Nie wieder!“ postulierend der toten Juden gedacht wird. Nie wieder, das ist genau jetzt – andernfalls wird der 7. Oktober 2023 einst als der Tag in die Geschichte eingehen, der den Exodus der jüdischen Bevölkerung aus Europa auslöste.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Heiko Heinisch (* 1966) ist Historiker und Autor und lebt in Wien. Er forscht und publiziert zu Antisemitismus, Nationalsozialismus, Islamismus, zum Thema Islam und Menschenrechte sowie zur Integration muslimischer Einwanderer.

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