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Round Table

Damit Medikamente nicht wieder knapp werden

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Presse“-Branchentalks zum Thema „Herausforderungen und Mechanismen der Arzneimittelverfügbarkeit“: (v. l. n. r.) Moderatorin Eva Komarek („Die Presse“), Gabriel Felbermayr (WIFO), Stephanie Poggenburg (ÖGAM), Ingo Raimon (PHARMIG) und Andrea Kdolsky (Fachärztin). 
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Presse“-Branchentalks zum Thema „Herausforderungen und Mechanismen der Arzneimittelverfügbarkeit“: (v. l. n. r.) Moderatorin Eva Komarek („Die Presse“), Gabriel Felbermayr (WIFO), Stephanie Poggenburg (ÖGAM), Ingo Raimon (PHARMIG) und Andrea Kdolsky (Fachärztin). Günther Peroutka
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Eine Arzneimittelversorgung ist nur gesichert, wenn dementsprechend in eine solche investiert wird – gleichzeitig besteht die Chance, dadurch das Budget des Gesundheitssystems zu entlasten.

Im Branchengespräch der „Presse“ in Zusammenarbeit mit PHARMIG, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, drehte sich die Diskussion um das Thema: „Herausforderungen und Mechanismen der Arzneimittelverfügbarkeit“. Dazu begrüßte Eva Komarek, General Editor for Trend Topics der Styria Group, als Diskussionsleiterin eine hochkarätige Expertinnen- und Expertenrunde, bestehend aus Andrea Kdolsky, Fachärztin für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Stephanie Poggenburg, Allgemeinmedizinerin und Mitglied des Präsidiums der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin ÖGAM, Gabriel Felbermayr, Ökonom und Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien sowie Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) sowie Ingo Raimon, Präsident der PHARMIG.

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie ist das Thema Lieferkettenengpass omnipräsent. Vor allem bei der Medikamentenversorgung wurde uns vor Augen geführt, wie abhängig Europa teilweise von Herstellern aus Übersee ist. Viel geändert hat sich an der Situation jedoch seither nicht. Erst im Frühling dieses Jahres gab es mit steigenden Infektionsaufkommen erneut einen Engpass bei Antibiotika. Um solche Vorfälle zu verhindern, bedarf es einer grundlegenden Korrektur der Arzneimittelversorgung. Kdolsky, von 2007 bis 2009 österreichische Gesundheitsministerin, die wieder ins Spital und in die Ordination zurückgekehrt ist, sieht gleich ein ganzes Bündel an Faktoren, die auf die Situation einwirken. „Obwohl im Vergleich zu 72 Prozent Personalkosten auf die Medikamente gerade einmal vier bis sechs Prozent der Gesundheitsausgaben anfallen, wird am liebsten bei den Medikamenten eingespart, weil es sich besser verkaufen lässt“, weiß die ehemalige Politikerin. „Ein Problem ist aber auch, dass die Öffentlichkeit zu wenig über die Leistungsfähigkeit und Notwendigkeit der pharmazeutischen Industrie informiert ist.“

„Wir wollen natürlich die Patienten möglichst im Primärversorgungsbereich behandeln, weil das kostengünstig ist. Hier spielt die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine große Rolle, um Krankheiten schnell, effektiv und zielgerecht zu behandeln.“ Stephanie Poggenburg, Präsidiumsmitglied der ÖGAM
„Wir wollen natürlich die Patienten möglichst im Primärversorgungsbereich behandeln, weil das kostengünstig ist. Hier spielt die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine große Rolle, um Krankheiten schnell, effektiv und zielgerecht zu behandeln.“ Stephanie Poggenburg, Präsidiumsmitglied der ÖGAMGünther Peroutka

Insofern müsse man die Kommunikation zur Bevölkerung verbessern. „Wir erleben auf der einen Seite eine leidenschaftliche Medikamentensammlung. Es liegen Millionen von Medikamenten in den Nachtkästchen der Österreicher, auf der anderen Seite erkennen wir im Ge­spräch eine Aggression der Bürgerinnen und Bürger gegen die pharmazeutische Industrie mit der Aussage: Die vergiften uns und verdienen dabei auch noch viel Geld.“ Eine intensivere Aufklärung über die Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie wäre wünschenswert. Auch hier ist es vorwiegend die Pharmaindustrie selbst, die vorbildlich aktiv wird. „Gerade in den letzten Jahren machen sie viel Patienteninformation, natürlich zu den jeweiligen Erkrankungen, für die sie Medikamente produzieren, aber da wurden Patienten-Hotlines eingerichtet und mit Selbsthilfegruppen zusammengearbeitet“, so Kdolsky.

Starke Regulierung

Die Pharmaindustrie zählt zu den am stärksten regulierten Industrien überhaupt. „Die Preise werden nicht einfach am Markt gesetzt, wie das in anderen Industrien der Fall ist, sondern da verhandeln große Player wie beispielsweise der Dachverband der Sozialversicherungsträger oder einzelne Spitäler miteinander“, sagte WIFO-Direktor Felbermayer. „Es gibt sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite wenige Spieler und noch dazu teilweise sehr spezialisierte Hersteller.“ Der Ökonom rät den Entscheidern aus Politik, Ministerien und Behörden dringend, dass man über die starke Regulierung diskutiert und den Druck auf die Arzneimittelpreise aufzeigt.

„Es braucht einen Arzneimittelschatz an innovativen und etablierten Produkten. Denn ein Produkt alleine genügt nicht, um schwerwiegende und häufig auch chronische Erkrankungen ein Leben lang erfolgreich zu behandeln.“ Ingo Raimon, Präsident PHARMIG
„Es braucht einen Arzneimittelschatz an innovativen und etablierten Produkten. Denn ein Produkt alleine genügt nicht, um schwerwiegende und häufig auch chronische Erkrankungen ein Leben lang erfolgreich zu behandeln.“ Ingo Raimon, Präsident PHARMIGGünther Peroutka

Für patentierte genauso wie für patentfreie Medikamente gibt es in Europa sehr reglementierte Preise. In Österreich gilt die Vorgabe, dass der EU-Durchschnittspreis die Höchstgrenze für Erstattungspreise ist. In der Europäischen Union sind allerdings auch wirtschaftlich schwächere Länder Mitglieder, die den Durchschnittspreis zusätzlich drücken. Die Expertenrunde ortete eine starke, diskriminierende Preiskaskade, die es für innovative Präparate schwer macht, wenn hierzulande bereits der erste Anbieter unter dem EU-Durchschnitt liegt, denn der nächste Anbieter mit einem vergleichbaren innovativen Präparat muss einen Abschlag von zehn Prozent in Kauf nehmen und jedes weitere Präparat ebenfalls jeweils minus zehn Prozent, sodass von einem lukrativen Geschäft keine Rede sein kann. Felbermayer meinte dazu: „Österreich hat es beim Preisdumping übertrieben und so darf man sich nicht wundern, dass sich global agierende Anbieter sehr genau überlegen, ob sie ihre Präparate bei uns anbieten oder lieber in Märkten, in denen sie mehr Gewinn erzielen können.“ Man darf sich hierzulande nicht wundern, wenn Österreich in der Rangordnung der Märkte, die bedient werden, nicht an vorderster Front mitspielt. „Bei geringer Nachfrage fällt das kaum auf, aber bei Nachfragespitzen kann das zu Problemen führen“, sagte Felbermayr.

Das Thema Preisband verschärft nochmals die Situation. Das ist eine gesetzliche Regelung, die bestimmt, in welcher Preisbandbreite sich ein Preis bei patentabgelaufenen Präparaten bewegen darf. Das günstigste Präparat bestimmt die Basislinie. Ein weiteres Präparat darf maximal zwanzig Prozent darüber liegen. Mit Ende des Jahres läuft die Regelung aus und damit droht die Gefahr, dass viele Präparate aus dem Erstattungskodex gestrichen werden können, wenn es ab 1. Jänner 2024 keine fixierte Preisbandbreite mehr gibt. Dann liegt es im Ermessen der Sozialversicherungen, Präparate zu streichen, wenn die Hersteller keine Preissenkungen vornehmen. „Wenn man nicht weiß, was Sache ist, tut man sich in jeder Branche schwer – ganz besonders in der Pharmaindustrie“, sagte Felbermayer, der auf eine Verlängerung der Preisbandregulierung hofft. „Man muss genau darauf achten, was stabilisiert die Versorgung der Patienten in Österreich und was destabilisiert die Ver­sorgung in Österreich“, fügte PHARMIG-Präsident Raimon hinzu. „Als Industrie können wir hier nur Empfehlungen geben.“ Bezogen auf die Preisbanddebatte: „Läuft die Preisbandregelung aus, weil sie nicht verlängert wird, wird das die Versorgung der Patienten in Österreich sicher nicht stabilisieren.“

„Einzelne Medikamente fallen heraus aus der Finanzierung durch die Sozialversicherungsträger. Damit wird Tür und Tor geöffnet für eine Zweiklassengesellschaft: Wer sich die Medikamente nicht leisten kann, bleibt krank.“ Andrea Kdolsky, Fachärztin für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie
„Einzelne Medikamente fallen heraus aus der Finanzierung durch die Sozialversicherungsträger. Damit wird Tür und Tor geöffnet für eine Zweiklassengesellschaft: Wer sich die Medikamente nicht leisten kann, bleibt krank.“ Andrea Kdolsky, Fachärztin für Anästhesie, Intensivmedizin und SchmerztherapieGünther Peroutka

WIFO-Direktor Felbermayer gab zu bedenken: „Wir müssen uns in Österreich klar darüber werden, dass es so etwas gibt wie einen Zielkonflikt zwischen der Frage, wie teuer Arzneimittel sind und mit welcher Versorgungssicherheit die Menschen rechnen können.“ Wichtig wäre: „Dass man auch für die Generika, auch für die simplen Arzneimittel, Marktbedingungen braucht, die es für die Industrie interessant machen, den Markt auch verlässlich zu beliefern. Denn wenn eine global aufgestellte Industrie sich zum Beispiel fragt, wen beliefern wir zuerst: die Österreicher oder die Deutschen, dann sehen sich die an, was ist für sie wirtschaftlich am interessantesten. Und wenn dann Regulierung oder Rechtsunsicherheit, oder beides gleichzeitig dazu führt, dass der österreichische Markt für die Industrie nicht interessant ist, werden andere Märkte zuerst bedient.“ Deswegen wäre es so wichtig zu verstehen, dass Versorgungssicherheit auch etwas kosten muss.

Unterschätzte Folgekosten

Allgemeinmedizinerin Poggenburg beobachtet als Hausärztin in Hart bei Graz das große Leid der Patienten, wenn Präparate nicht verfügbar sind – sie bekommt teilweise aber auch das Unverständnis der Patienten zu spüren. Doch sie sieht zusätzlich ein stark unterschätztes Problem: „Wenn wir Medikamente umstellen müssen, die einen anderen Handelsnamen oder einen generischen Namen tragen, müssen wir erklären, dass es hier ein wirkstoffgleiches Präparat mit anderem Namen gibt – damit die Patienten nicht ein gleiches Medikament doppelt einnehmen.“ Ansonsten würde man unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen riskieren, die wiederum zu hohen Folgekosten führen, weil die Patienten häufig aufgrund der Doppelmedikation im Krankenhaus landen. Poggenburg ist bei ÖGAM Referatsleiterin für den Wissenstransfer und zusätzlich Dozentin an der Medizinischen Universität Graz im Fach Allgemeinmedizin und plädiert generell für eine Folgekostenabschätzung, etwa in Form von Forschungsprojekten. „Es gibt viele Schnittstellen im Gesundheitsbereich.“ Die Allgemeinmedizinerin sieht einerseits große Einsparungspotenziale, aber vor allem auch die Chance, deutlicher aufzuzeigen, welche Mehrkosten eine nicht ausreichende Arzneimittelversorgungssicherheit verursacht. „Wenn wir z. B. von einer unzureichenden, zu schlechten, zu späten Versorgung ausgehen, die durch die Verfügbarkeit eines Arzneimittels nicht entstanden wäre, wo aber Spitalkosten anfallen. Noch gibt es keine Modelle, die berechnen können, welches Einsparungspotenzial möglich wäre.“

„Man kann bei erfolgreichen Preisverhandlungen nicht davon ausgehen, dass die Mengen, die volatil abgerufen werden, immer verfügbar sind. Die ‚Geiz ist geil‘-Mentalität hat Konsequenzen. Versorgungssicherheit kostet am Ende des Tages auch Geld.“ Gabriel Felbermayr, Direktor WIFO
„Man kann bei erfolgreichen Preisverhandlungen nicht davon ausgehen, dass die Mengen, die volatil abgerufen werden, immer verfügbar sind. Die ‚Geiz ist geil‘-Mentalität hat Konsequenzen. Versorgungssicherheit kostet am Ende des Tages auch Geld.“ Gabriel Felbermayr, Direktor WIFOGünther Peroutka

Es braucht das große Bild

Für Ingo Raimon bedarf es einer systemischen Betrachtungsweise, um die Arzneimittelversorgung zu erhalten. „Darunter verstehe ich den Blick auf das große Ganze. Zu sehen, was einerseits die pharmazeutische Industrie leistet und bringen kann, was die Vorteile und die Benefits sind, die diese Investments der pharmazeutischen Industrie in den österreichischen Markt reflektieren.“ Darüber hinaus geht es auch darum aufzuzeigen, wo der Nutzen einer guten Patientenversorgung liegt. „Die Herausforderungen sind letztlich auch dort zu sehen, wo man zwischen den einzelnen Sektoren, die dieses Gesundheitssystem ausmachen, jenen Weg finden kann, der stabilisierend genug ist, um eine Versorgung der Patienten sicherzustellen, aber andererseits auch die Möglichkeit für die Kostenträger gegeben ist, weiterhin mit dem Budget zu wirtschaften. Hier gilt es, eine Balance zu suchen und zu finden“, resümierte Raimon.

Information

Der Branchentalk „Herausforderungen und Mechanismen der Arzneimittelverfügbarkeit“ fand auf Einladung der „Die Presse“ statt und wurde finanziell unterstützt von PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs.


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