Gastkommentar

Es wird 2024 wirklich spannend

Kufner
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2024 wird sich Europa parteipolitisch dramatisch verändern und die Schwächen des Kontinents und der Union brutal offenlegen.

Wenn jemand wie ich, der sich ein wirtschaftsstarkes, innovatives, soziales und geopolitisch einflussreiches Europa wünscht, aufs Jahr 2024 blickt, müsste er in eine mehr oder weniger tiefe Depression verfallen angesichts der Ereignisse, die da mit hoher Wahrscheinlichkeit auf uns zukommen. Ich bin aber nicht depressiv, sondern warte mit großer Neugier auf das, was sich nächstes Jahr in Österreich, Europa und der Welt tun wird. 

Christ- und Sozialdemokraten in vielen Teilen Europas versinken in den unterschiedlichsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen, die für das Wahlvolk weder verständlich noch attraktiv sind. Daher verlieren sie massiv an Zuspruch. Liberale gibt es kaum und wenn, dann in viel zu schwammig formulierten Positionen. Die Grünen haben zwar klare Ziele für das wichtigste aller Themen, aber sehr wenig für alles andere. Also darf es nicht überraschen, dass jene Parteien zulegen, die den Wählern suggerieren: Wir sagen zwar nicht, was wir für „euch“ machen, aber wir kümmern uns um „euch“, indem wir anderen das Leben schwerer machen. Dass die Mehrheit dieser Parteien rechtsnational ist, ist nicht verwunderlich. Allerdings vermute ich, dass viele von ihnen wirtschaftspolitisch sehr links agieren werden, wenn an der Macht, da in so vielen Staaten Westeuropas die Mehrheit ihrer Wählerschaft mehr vom Staat bekommt, als sie ihm gibt.

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Die Ohnmacht Europas

2024 wird sich Europa parteipolitisch dramatisch verändern und damit die Schwächen des Kontinents und der Union brutal offenlegen. Ich hoffe sehr, dass daraus die Kraft zur Erneuerung entstehen kann. Vermutlich werden die USA eine wesentliche Rolle für die Selbstfindung Europas spielen. Wo auch immer Europa seine Grenzen zieht, ohne die Nato bzw. die USA wird es diese nicht verteidigen. Die Ohnmacht Europas hat sich in den starken Ankündigungen und der schwachen Exekution der letzten 22 Monate manifestiert. Unsere Militärausgaben sind zwar ein Vielfaches derer von Russland. Aber wir haben keine Chance, uns durchzusetzen, um Frieden zu schaffen. 

Gewinnt Donald Trump im November 2024, wird die Notwendigkeit der eigenständigen Verteidigungskapazität Europas viel rascher evident werden. Gewinnt Trump, wird die Notwendigkeit der Etablierung einer modernen Wirtschaftsunion in Europa einen viel größeren Stellenwert erhalten. Gewinnt Trump, müssen wir den unendlich vielen Worten Taten folgen lassen.  Verliert Trump, muss in Europa genau das Gleiche passieren, aber der Druck und die Dringlichkeit werden fehlen. 

Vor 25 Jahren war Europa ­verteidigungspolitisch so abhängig wie heute, aber es war die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Es gab keine Industrie, in der nicht zumindest ein europäischer Konzern führend war. Heute gibt es Konzerne in den USA, die größer sind als die deutsche oder französische Börse. Sozialpolitisch sind wir noch immer besser dran als alle anderen, aber das können wir auf die Dauer nicht halten, wenn wir nicht wirtschaftspolitisch wieder aufholen. 

2024 wird eines der wichtigsten Jahre in der Geschichte Europas werden. Es wird wirklich spannend. 

Andreas Treichl (*1952) ist Aufsichtsratsvorsitzender der ERSTE Stiftung und seit 2019 Präsident des Europäischen Forums Alpbach. 

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