Gastkommentar

Wen oder was will Viktor Orbán schützen?

Das Orbán-Regime geht zwar noch nicht so weit wie Russland, macht aber weitere Schritte zu autoritären Strukturen.

Im Dezember 2023 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz, um die „ungarische Souveränität“ gegenüber „ausländischen Interessen“ stärker zu schützen. Auch ein neues „Amt für den Schutz der Souveränität“ wurde eingerichtet, das einerseits in jährlichen Berichten die „Lage der Souveränität“ beschreiben, die möglichen „Gefahren“ bewerten soll, andererseits Untersuchungen, ohne richterliche Kontrolle, bei allen Organisationen, auch in den NGOs oder den Redaktionen, durchführen darf.

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Dass ein Staat seine „Souveränität“ schützen will, versteht sich von selbst. Die Souveränität ergibt sich aus der staatlichen Existenz, jeder Staat ist nämlich souverän als Völkerrechtssubjekt. Die Souveränität ist dennoch ein höchst problematischer Begriff, weil sie im Zeitalter transnationaler Kooperationen und europäischer Integration sicherlich nicht mehr die absolute und unteilbare Macht bedeutet und bedeuten darf, wie sie von Jean Bodin noch in der Frühen Neuzeit als ideologische Untermauerung für den absolutistischen Staat eingeführt worden ist.

Kein Staat kann souverän sein

Es besteht die Gefahr, dass die Souveränität auch gegenwärtig nicht als bloße völker- und staatsrechtliche Kategorie, praktisch als Synonym für den Staat als Rechtsordnung, sondern ideologisch für gewisse politische Zwecke verwendet wird – etwa gegen die Transnationalisierung und Europäisierung der staatlichen Rechtsordnungen oder als Drohung für die nicht staatlichen Akteure.

Deswegen betonte Hans Kelsen, der berühmte österreichisch-amerikanische Rechtswissenschaftler, bereits vor 100 Jahren, dass die Souveränität keine staatliche Übermacht, sondern „bloß“ die Eigenschaft der staatlichen Rechtsordnung ist, welche aber im Völkerrecht relativiert wird: Auch die staatliche Rechtsordnung ist nichts anderes als – wie Kelsen schrieb – eine „völkerrechtsunmittelbare Teilrechtsordnung“. Kein Staat kann also absolut souverän sein, er bettet sich in ein völkerrechtliches System (oder etwa in die Europäische Union) ein, was eine selbst gewählte, „souveräne“ Einschränkung der eigenen Souveränität ist.

Kelsen meinte, dass gerade die demokratische Weltanschauung „den Begriff der Souveränität als Ideologie bestimmter Herrschaftsansprüche auf[löst]“: Weil das Wesen der Demokratie der Pluralismus ist, ist die Idee, dass ein „souveräner“, staatlicher Wille gegenüber den unterschiedlichen Interessen der Gesellschaft „geschützt“ werden müsse, zutiefst antidemokratisch.

Offene Drohung

Viktor Orbán wie auch die europäischen Rechts- und Linkspopulisten verstehen aber das „souveräne Volk“ als ungeteilte Einheit, die durch einen „Führer“ (oder vielleicht durch einen „Volkskanzler“) repräsentiert sei. In diesem Sinn ist der Begriff der „Souveränität“ eine offene Drohung gegenüber dem Pluralismus, das heißt gegen die Demokratie schlechthin.

Auch die Begründung des neuen ungarischen Gesetzes über „den Schutz der Souveränität“ lässt keinen Zweifel daran, gegen wen es sich richtet: gegen die Opposition, der vorgeworfen wird, mit ausländischen Geldern ausländische Interessen zu vertreten. Das Orbán-Regime geht zwar noch nicht so weit wie etwa Russland, wo unabhängige Vereine oder Redaktionen als „ausländische Agenten“ bezeichnet werden, wenn sie ausländische Förderung erhalten. Aber mit dem neuen Gesetz macht Ungarn einen weiteren Schritt hin zur Verfestigung autoritärer Strukturen.

Dr. iur. Dr. phil. Péter Techet ist Jurist und Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien. Er befasst sich u. a. mit der Politik und Geschichte von Ostmittel- und Südosteuropa.
­­E-Mails an: debatte@diepresse.com

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