Saudiarabien

Der Anfang vom Ende des saudischen Prestigeprojekts

Sehnsucht nach Europa: Al-Ittihad-Star Karim Benzema.
Sehnsucht nach Europa: Al-Ittihad-Star Karim Benzema. Getty
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Die ersten Profis sind schon wieder nach Europa zurückgekehrt, weitere Topstars sind unzufrieden und arbeiten mit Hochdruck an ihrem Abschied – nach dem rauschhaften Transfersommer herrscht in der Wüstenliga teilweise Katerstimmung. Setzt schon bald ein Exodus ein?

Riad. Aymeric Laporte ist unzufrieden. So deutlich wie noch kein anderer Fußballprofi der saudiarabischen Pro League zuvor hat er das schillernde Großprojekt im Wüstenstaat kritisiert. „Sie kümmern sich um uns, aber für meinen Geschmack nicht genug“, sagte der Spanier im Dienste des Klubs Al-Nassr um Superstar Cristiano Ronaldo der spanischen Tageszeitung „As“. Nach knapp einem halben Jahr zieht der 29-jährige Abwehrspieler eine ernüchternde Bilanz und schimpfte obendrein über den mühsamen Autoverkehr in Riad.

Laporte gehörte mit Stars wie Neymar, Riyad Mahrez und Sadio Mané zum hochkarätigen Tross, der sich im Sommer von Europa aus auf die verheißungsvolle Halbinsel aufmachte – schließlich winkten hohe Gehälter. Die Klubs ließen sich die Einkaufstour knapp eine Milliarde Euro kosten. Doch nach dem rauschhaften Transfersommer scheint Katerstimmung zu herrschen. Die Zuschauerzahlen in den Stadien vor Ort sind oft niedrig, einige Topstars frustriert.

„Sie haben es uns nicht leicht gemacht. Tatsächlich gibt es viele Spieler, die unzufrieden sind“, sagt Laporte. Die Missstimmung wurde zuletzt deutlicher. Der frühere Liver­pool-Kapitän Jordan Henderson ergriff nach wenigen Monaten als Angestellter von Al-Ettifaq die Flucht und schloss sich Ajax Amsterdam an. Der Brasilianer Roberto Firmino (Al-Ahli) und der Portugiese Jota (Al-Ittihad) wurden zuletzt mit einem Wechsel zurück nach Europa in Verbindung gebracht.

Training geschwänzt

Auch Karim Benzema, der ehemalige Profi von Real Madrid, bastelt Medienberichten zufolge aktiv an seiner Rückkehr. Das Verhältnis zu seinem Klub Al-Ittihad ist belastet. Der Franzose war nicht rechtzeitig zur Abfahrt ins Trainingslager zurückgekommen. Außerdem blieb er einige Wochen Berichten zufolge dem Training fern.

Die Chefs der Liga würden ihn gern im Land halten. Das Königreich um Kronprinz Mohammed bin Salman mischt in sämtlichen Sportbereichen mit. Golfen, Formel 1, Boxen – sogar Wintersport. Die Fußballliga aber gilt als Prestigeprojekt. Auch mit Blick auf die WM 2034, die dem Land wegen mangelnder Konkurrenz praktisch nicht mehr zu nehmen ist. Die Kritik aus Europa ist groß. Die Menschenrechtslage im Land wird bemängelt, Homosexualität steht unter Strafe.

Henderson erntete nach seinem Wechsel zu Al-Ettifaq massive Kritik der LGBTQ+-Community, für die er sich noch in Liverpool eingesetzt hatte. Nun hat sich Henderson entschuldigt. Seine Entscheidung für Saudiarabien bezeichnete er als Fehler. „Aber gleichzeitig sind es nur Fehler, wenn man nicht aus ihnen lernt“, meinte er.

Zurück in Europa: Jordan Henderson wird bei Ajax Amsterdam vorgestellt.
Zurück in Europa: Jordan Henderson wird bei Ajax Amsterdam vorgestellt. APA

Der Chef der Pro League, Saad Allazeez, sah sich genötigt, den prominenten Abgang herunterzuspielen. „Das ist ein Teil des Fußballs, der ganzen Welt und des Lebens, in allen Karrieren. Manchmal gelingt es den Menschen trotz aller Bemühungen nicht, sich anzupassen oder zurechtzufinden.“

Benzemas früherer Real-Madrid-Kollege Toni Kroos hatte in „Sports Illustrated“ seine Meinung zu den Wechseln deutlich gemacht. „Am Ende eine Entscheidung für das Geld – und gegen den Fußball.“ Auch deswegen kassierte er zuletzt die Pfiffe saudiarabischer Fans, als er mit Real den spanischen Supercup in Riad gewann.

Kroos spielte in Madrid auch mit Superstar Cristiano Ronaldo zusammen. Der 38-Jährige, der schon mit traditioneller Kopfbedeckung und Schwert abgelichtet wurde, gilt als Aushängeschild der Saudi Pro League. Schon vor dem großen Superstarzuwachs im Sommer hatte er sich Al-Nassr angeschlossen. Und Ronaldo betreibt mächtig Werbung. „Ich glaube, die saudische Liga ist nicht schlechter als die französische Liga“, sagte der Portugiese. Langfristig werde sie sich zu einer der drei, vier besten Ligen der Welt entwickeln.

Aymeric Laporte, Ronaldos offenbar unzufriedener Al-Nassr-Teamkollege, glaubt, dass sich Strukturen in den Klubs ändern könnten. „Wir arbeiten jeden Tag daran, verhandeln sozusagen, um zu sehen, ob es ein bisschen besser wird.“ Andererseits ist auch für den Verteidiger ein Abgang nicht ausgeschlossen. Noch sei der Zeitpunkt für solche Gedanken nicht gekommen, meinte er. „Aber er könnte in Zukunft kommen, wenn diese Dynamik anhält.“ (DPA/red.)

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