Legendärer Fußballkommentator

Als Edi Finger noch nach Luft schnappte

Überschäumende Spielbegleitung von Edi Finger senior (rechts), 1955.
Überschäumende Spielbegleitung von Edi Finger senior (rechts), 1955.Foto: Votava/Picturedesk
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Wenn ich mir heute ein Fußballspiel anschaue, sehe ich gegen die Stille anrennende Sportler, gestikulierende Trainer und gefühlsüberflutete Gesichter von Fans. Ich höre nichts. Keinen Torschrei, keine Analysen. Kein „I wer narrisch“. Zum 100. Geburtstag von Edi Finger senior.

Als während der Lockdowns Fußballspiele ohne Fans in den Stadien bestritten wurden, überraschte mich der deutsche Startrainer Jürgen Klopp mit einer Aussage. Auf die Frage, ob er die Stadion­atmosphäre auch zu Hause vor dem TV-Gerät vermissen würde, entgegnete er, dass er Spiele ohnehin seit Jahren ohne Ton schaue. Er brauche niemanden, der ihm sagen würde, dass jetzt die Nummer 11 den Ball habe, das sehe er selbst. So könne er sich besser auf das Spiel konzentrieren.

Auch wenn mir dieser stets verdächtig gut gelaunte Übungsleiter mit seinen in jeder zweiten Werbung auftauchenden Lebensweisheiten seit Jahren auf die Nerven geht, probierte ich das mit der stummen Fußballübertragung einmal aus, und ich gebe zu, dass ich den Ton seither nur in seltensten Fällen wieder angedreht habe. Wenn ich mir heute ein Fußballspiel anschaue, sehe ich mit ihren Körpern gegen die sie umgebende Stille anrennende Sportler, wild gestikulierende Trainer, die, wie in einem Albtraum, kein Wort herausbringen, und angestrengte, gefühlsüberflutete Gesichter von Fans, deren Gesänge unter einer alles bedeckenden Glas­glocke verschluckt werden. Ich höre nichts. Keinen Torschrei, keine Analysen, keine Floskeln. Wie konnte das passieren? Als Kind noch ließ ich keinen Zweifel daran, dass ich eines Tages Fußballkommentator werden wolle. Die Voraussetzungen waren scheinbar gegeben: Ich kannte sämtliche Statistiken auswendig und redete pausenlos zum Leidwesen meiner Eltern während der Spiele, die wir gemeinsam sahen. Sogar meine eigenen Kleinfeldspiele kommentierte ich zur Verwunderung meiner Gegenspieler gleich mit. Während ich mit dem Ball am Fuß rannte, hechelte ich etwas von Holzapfel, der eigentlich abspielen sollte, aber die Übersicht verloren hätte. Der Ball wurde mir abgenommen, aber ich kommentierte weiter. Mir war klar, dass ich so immer gewinnen würde, denn selbst wenn das Ergebnis im Fußball eine Wahrheit spricht, die Interpretation des Ergebnisses spricht lauter.

Die Jubelarien spanischer Reporter

Anstrengend war mein dauernder Kommentierimpuls für meine Freunde an der Spielekonsole, denn dort imitierte ich bei jedem eigenen Torerfolg die Jubelarien italienischer und spanischer Reporter mit ihren endlosen Torrufen und übertönte die in jener Zeit noch arg hilflosen, in die Videospiele programmierten Kommentare, die immer mit einer seltsamen Verzögerung auf das Spielgeschehen reagierten. Verschiedene Passagen aus berühmten historischen Kommentaren kannte ich mit elf Jahren auswendig. Dass man aus dem Hintergrund schießen, sich abbusseln und narrisch wern’ könne, war mir vollends klar, ebenso, dass der Zirkus in der Stadt war, wenn Ronaldinho den Ball berührte, und dass man beim bedrohlich lustvoll ins Mikrofon atmenden Fritz von Thurn und Taxis alles über Synonyme lernen konnte, denn ein Spieler war eben nicht nur schnell, nein, er war schnell und quick und stürmisch und rasend, und das sagte dieser schnappatmende Reporter rasch hintereinander, sodass ich die rauschhafte Geschwindigkeit des Sports förmlich an den Worten greifen konnte.

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