Gastkommentar

Offener Brief an meine Bank: Wer zahlt, schafft an?

Alltag im Überziehungsrahmen. Besichern oder begleichen unzählige kleine Schuldner wie ich gar die Schulden der großen Schuldner?

Sehr geehrte Bank Austria!

Seit Kurzem zähle ich meine Schulden nicht nur, sondern erzähle sie. Nichts daran ist eine Erfindung, obwohl nicht wenige mich hoffnungsvoll danach fragen, seitdem diese Geschichte unter dem Titel „In achtzig Tagen. Tagebuch meiner Insolvenzverschleppung“ in Fortsetzungen erscheint. Sie erzählt eine Realität unter null, einen Alltag im Überziehungsrahmen, der im Vokabular Ihres Geldinstituts „Einkaufsreserve“ genannt wird, berichtet von den Einkünften, die das Minus zumeist nur minimieren, ebenso wie von den Ausgaben. Für eine wirklich gute Geschichte aber fehlte am Boden der Tatsachen nicht nur ein letzter Rest Fallhöhe, sondern auch jede Fallhöhe. Zum Glück gibt es dafür Hollywood, wo in der sprichwörtlichen Traumfabrik seit geraumer Zeit an einem Kino-Remake meines ersten Romans „Der Räuber“ gearbeitet wird, in dem Ihre Bank unter ihrem damaligen Namen sogar mehrmals ausgeraubt vorkam – wobei leider kein Cent der Beute bei mir landete. In meinem Fall aber reduzierte es am Ende selbst Hollywood zur nüchternen Rechnung, in der irgendwann diesen Sommer oder Herbst mein Minus höchstens still und etwas verschämt in der weit größeren Hollywood-Summe verschwände – und damit nicht nur alle Erinnerung an Überziehungsrahmen, Karteneinzug, Einkaufsreserve oder Dauerauftragsstornos, sondern auch jeder Anflug einer Geschichte.

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Doch da kam der Streik in Hollywood, der bezeichnenderweise nichts weniger als die täuschend echten Fiktionen von Artificial-Intelligence-Hybriden im Visier hatte. Für eine Geschichte war das perfekt, blieb einerseits die Traumhöhe zwar gewahrt, indem der Streik in keiner Weise an der Weiterarbeit an dem Räuber-Remake rüttelte, aber die Fallhöhe sah mit einem Schlag anders aus, kaum wurde klar, dass die nächste, in diesem Februar terminisierte Optionszahlung sich exakt um jene 191 Tage der Streikdauer verschieben würde. Damit war nicht nur die zweite größere Einnahme des Jahres weit weg gerückt, sondern die reale Lücke von beinahe ebenso vielen Tagen legte nicht weniger als die doppelten Böden meiner Buchführung frei.

Meine Schuld, mein Minus

Es versteht sich von selbst, dass das „Tagebuch meiner Insolvenzverschleppung“ damit eher Countdown denn Fortsetzungsgeschichte ist. Beginnend damit, dass nach Abzahlung diverser Rückstände von Sozialversicherung, Kreditkarte oder des zu Jahresbeginn nicht mehr durchgeführten Dauerauftrages der Monatsmiete gerade genug übrig bleibt, um bestenfalls den Februar und mithilfe einer ungedeckten Kreditkarte vielleicht noch ein Stück des März zu schaffen. All das ist natürlich meine Schuld und mein Minus; ich hätte Sie nie auch nur mit einer Zeile zu meinem Minus behelligt, wäre da nicht eine ganz andere Rechnung aufgetaucht: die meiner Sollzinsen, seitdem eine Kundenberaterin Ihres Unternehmens meine Einkaufsreserve vor Jahren auf erstaunliche 9000 Euro erhöht hatte. Es genügte schon, wenn ich als Grundlage den ohnedies beschönigenden Wert von etwa zwei Dritteln meines Überziehungsrahmens als regelmäßiges Minus über die letzten 15 Jahre annahm. Denn was kommt angesichts einer hübschen Zinshöhe von 9,875 % per annum heraus? Nicht mehr und nicht weniger als 8887,50 Euro, womit diese Summe ziemlich genau meinem aktuellen Minus entspricht. Doch was ändert das? Nichts, es bleibt meine Schuld, wie ich Ihr Schuldner bleibe. Genauso Schuldner wie auch Ihr Hausherr, Herr Benko, seit Jahr und Tag Schuldner bei Ihnen ist. Oder wie so viele andere, Zehn- oder Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Menschen Ihre Schuldner sind. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der Schuldner wie ich seit Jahr und Tag Ihnen regelmäßig den Zinssatz ihrer Schulden bezahlen, bedingt zumindest die Nachfrage, ob das auch bei einem so großen Schuldner wie Herrn Benko der Fall war? Oder deutlicher gefragt: Besichern oder begleichen unzählige kleine Schuldner wie ich gar die Säumigkeiten und Schulden der großen Schuldner, oder ist das erst beim Platzen größerer Blasen wie 2008 der Fall? So wie Sie umgekehrt, so nehme ich an, als Bank wohl auch weiterhin pflichtschuldig Ihre Miete an eine der Gesellschaften dieses Herrn begleichen, dessen behaupteter Reichtum sich von meinem vielleicht unterscheiden mag, keineswegs aber sein bis heute gepriesenes Geschäftsmodell.

Sind es bei ihm Gebäude, die er manchmal durch Sanierungen aufwertet, oft genug aber lediglich über sogenannte Buchwerte, die am Ende den sogenannten Realwert steigern, so verstecken meine Gebäude von Anfang an nicht, dass es in Wirklichkeit nur Geschichten sind. Mit einer einzigen Ausnahme: Diese Geschichte hier, sie ist Realität. Weshalb nicht einmal der Anschein erweckt werde dürfte, Sie wären darin als meine Bank bloß zwischen den Zeilen Bewohner des darin Erzählten. Ganz im Gegenteil, sie spielen damit eine der Hauptrollen, wofür ich Sie seit Jahr und Tag auch anständig bezahle, anstatt wie Herr Benko Miete dafür zu verlangen.

Bleibt nur mehr die Frage, wie lang ich mir Sie noch leisten kann? In Wirklichkeit, also nicht nur in dieser Geschichte, das fragt sich und Sie,

Ihr Martin Prinz.

Der Autor:

Martin Prinz (* 1973) ist Schriftsteller. Sein jüngster Roman „Die unsichtbaren Seiten“ erschein 2018 im Insel Verlag. Mehr von ihm lesen Sie hier.

Lukas Beck.

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