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Wie erzieht man seine Söhne als Feministin?

Peter Kufner („Die Presse“)
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Shila Behjat ist Mutter von zwei Söhnen und Feministin. Und sie fragt sich in ihrem neuen Buch, wie man heutzutage junge Männer erzieht.

Ich möchte meine Söhne beschützen. Auch vor meinen eigenen Verallgemeinerungen: davor etwa, dass ich sie so sehr als Söhne, und damit als Männer, wahrnehme und nicht einfach als Kinder. Und trotzdem stimmt ja etwas an meiner Emotion. Ich will meine Söhne auch davor beschützen, in ein System hineingeboren zu sein, in dem ich pauschal als Frau betrachtet werde und deshalb Angst haben muss, nachts allein durch die Straßen zu gehen. Angst nur, weil es Männer gibt.

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Aber gleichzeitig wünsche ich meinen Söhnen, dass sie bitte nicht pauschal verdächtigt werden, eine Gefahr zu sein, allein, weil sie Männer sind. Denn ich weiß ja, dass sie mehr und anders sind, wie wir alle das sind – aber was bedeutet das in einer Welt, die ja doch ganz allgemein und pauschal mit Gewalt und Geschlechterungerechtigkeit zu kämpfen hat? (...) Viele Frauen, die über ihre Söhne schreiben, fixieren in ihren Texten irgendwann den Zeitpunkt, zu dem sie erfuhren, dass sie ein männliches Baby erwarten. Oft beschreiben sie diesen als einen Moment des Schocks – und der Abneigung. Was, ein Mann? Was soll ich bloß damit anfangen?

Dieses „Der Feind in meinem Bauch“-Gefühl konnte ich nie ganz teilen, eher steckte mir sofort die Angst in den Knochen, ich könnte daran schuld sein, ihn überhaupt zum Feind der Frauen zu machen.

„I will always love my male child“

Voll Neugier verglich ich meine Schwangerschaft auch mit der meiner Schwester, die zeitgleich eine Tochter in sich heranwachsen sah. Ja, sie aß mehr Zitronen gegen die Übelkeit, und ich wiederum beobachtete den Haarwuchs auf meinem Bauch, eine gerade dunkle Linie, die sich plötzlich vom Bauchnabel nach unten zog – lag das eine tatsächlich an der Mädchenschwangerschaft, das andere am Testosteronpaket in mir? Am eindeutigsten waren da noch die unterschiedlichen Reaktionen, die wir auf unsere Schwangerschaft bekamen.

Hatte ich nicht bereits festgestellt, dass es inzwischen wenig cool ist, ein Mann zu sein – einen Mann zu gebären ist es ehrlich gesagt inzwischen auch nicht mehr. In ihrem Artikel „I will always love my male child“ reflektiert Mithu Sanyal die Schwangerschaft mit ihrem Sohn und beobachtet, wie sie erst selbst entsetzt über die Nachricht des Geschlechts ihres Ungeborenen war, um dann zu schreiben: „Seitdem habe ich bei jedem neuen Baby in meinem Umfeld die mitleidigen Blicke bemerkt, wenn es ein Junge war. Und das stolze, überlegene Lächeln der Mädchenmütter. Wie in einem viktorianischen Roman. Nur halt umgekehrt.“

Es grüßt (...) die bereits beschriebene toxische Girl Power in Reinform. Ein guter Freund sagte mir während der Schwangerschaft etwas, das mir blieb. „Du wirst mit deinem Sohn so umgehen, wie du Männer in deinem Leben abgespeichert hast.“ Mir war klar, dass dies ein zuckersüß verpackter und dennoch verzweifelter Versuch war, meinen gefürchteten Feminismus von diesem Ungeborenen abzuwenden. In mir jedoch sah es ganz anders aus.

Ich stellte fest, dass die Männer in meinem nächsten Umfeld, jener Freund inbegriffen, gut zu mir gewesen waren. Dass ich von ihnen Liebe, Verständnis und Anerkennung erfahren hatte. Ich stellte fest, dass der feministisch aufgeladene, wütende, ablehnende Blick auf meine Mutterschaft erst der zweite war, wie durch Kontaktlinsen, die ich trug. Oder eben auch weglassen konnte. Ja, ich konnte, obwohl ich bis dahin einen erbitterten Kampf gegen männliche Unterdrückung geführt hatte, sagen, dass Männer es auch oft gut mit mir gemeint hatten, vor allem mein „inner circle“, die, mit denen ich mich umgab.

Und dass auch ich ihnen hatte wohlgesonnen, zugewandt und verständnisvoll entgegentreten können. Erst im nächsten, äußeren Kreis befanden sich die, die ich als „problematisch“, um nicht zu sagen als absolute No-Gos abgespeichert hatte. Dieses Eingeständnis, Männer gar nicht durch die Bank hindurch als verheerend abgespeichert zu haben, äußerte ich nicht, (...)

Dominanz der Männer nicht einfach durch die der Frauen ablösen

Mit einem Sohn im Bauch geht es nicht so schnell zur Energiearbeiterin oder zum Women’s Circle, er wird einfach nicht so sehr als die Verheißung gesehen, die viele inzwischen in Mädchen zu erkennen meinen. Bereits im Mutterleib trauen sie ihren Söhnen weniger zu, vor allem, dass er auf der emotionalen Ebene weniger Verbindung aufbauen könnte. Was währenddessen mich und die Männer anging, die mich bereits umgaben, war es mehr als dieser Ausspruch, der immer mal wieder in den sozialen Medien auftaucht: „I am a feminist. And I don’t hate men.“ Ja, ich konnte Männer sogar lieben. Und mich von ihnen lieben lassen. So dachte ich. Wie war das möglich, war ich doch zugleich Männlichkeit mein ganzes Leben lang mindestens mit großem Argwohn begegnet? Und habe bis heute auch weiterhin viel Angst vor Männern, ihrer Gewalt und Aggression. (...)

Das Buch „Söhne großziehen als Feministin“ erscheint am 19. Februar.
Das Buch „Söhne großziehen als Feministin“ erscheint am 19. Februar.

Genau deshalb kann, darf und sollte die Dominanz der Männer nicht einfach durch die der Frauen abgelöst, das Glück junger Mädchen nicht in den Vorstandsetagen dieser Welt vermutet werden: weil dies unweigerlich mit Gewalt einhergeht, einhergehen muss. Die Autorin Bell Hooks sagt: „Feminismus ist das Ende von Sexismus, nicht das der Männer.“ Aber was bedeutet das eigentlich genau, ohne das Gefühl zu haben, im Alltag ständig über die eigenen Ansprüche zu stolpern? Der Schauspieler und Autor Justin Baldoni hat (...) erklärt, was er davon hält, dass selbst den eingefleischtesten Feministinnen am Ende der eigene Sohn näher ist als ihre eigenen Prinzipien. Baldoni bietet mir jedoch mehr als nur Vorwürfe – er regt an: „Feministinnen wünschen sich doch für Frauen, dass sie beides oder sogar alles haben können. Das wünsche ich mir übrigens auch für meine Tochter. Aber genauso können wir doch Männern einräumen, dass sie beides sind, verletzlich und stark, verlässlich und sensibel. Oder was auch immer sie sind oder sein möchten.“ Dies, so Baldoni, gehe jedoch nur, wenn wir den Männern vor allem eines geben: unsere Liebe. Das war mehr als das, was ich zu geben bereit war. (...)

Wenn wir uns nun tatsächlich auf ein Zeitalter zubewegen, das weiblicher geprägt ist und in dem typisch männliche, vor allem auf physische Stärke bezogene Qualitäten in den Hintergrund geraten, dann gilt doch vor allem, dass Frauen sich mit als weiblich angesehenen Eigenschaften versöhnen – mit Mitgefühl, Fürsorge, Bescheidenheit – und dass den Männern diese Eigenschaften von nun an nicht mehr fremd bleiben. (...)

Und zu guter Letzt müsste es vermutlich sogar heißen, „ich wünsche, Menschen großzuziehen“. Um ihnen dieses Allerletzte, diese vorerst finale Haltung zu ermöglichen, ihr eigenes Geschlecht nicht mehr ausschlaggebend zu finden, nicht dafür, wie sie die Welt sehen, aber auch nicht dafür, wie die Welt sie sieht. Damit dem zugleich auch kein weiteres Konstrukt entgegenstehen kann, wie es eine Einteilung nach „race“, nach Herkunft oder Hautfarbe ist. 

Feminist Mom, geht das? Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Söhne großziehen als Feministin. Ein Streitgespräch mit mir selbst“, das am 19. Februar erscheint (2024 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München; 200 Seiten, 24,50 Euro). Eine Passage ist aus dem Kapitel „Frausein heute“, eine andere aus dem Kapitel „Männer lieben“.

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Die Autorin

Shila Behjat (* 1982) ist Journalistin, studierte Juristin und Publizistin mit deutsch-­iranischen Wurzeln und lebt in Berlin. Als Kulturredakteurin bei Arte verantwortet sie Dokumentationen. Sie moderiert regelmäßig vor der Kamera und bei Veranstaltungen.

Die Autorin Shila Behjat.
Die Autorin Shila Behjat. Neda Rajabi.

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