Dass diese Menschen ernst dreinblickten, lag nicht nur an den Belichtungszeiten. Familie im Garten, um 1910, koloriert.
Spectrum

Autorität einst und heute: „Das werde ich dem Papa sagen“

Gebote und Verbote scheinen passé. Immer mehr Menschen fühlen sich bemüßigt, Verordnungen nicht mehr zu befolgen. Gleichzeitig sehnen sie sich nach einem autoritären Staat. Wie geht das zusammen? Und was hat das mit alten Fotos zu tun?

Auf alten Familienbildern blicken einem oft seltsam fremde und ernste Gesichter entgegen: der Vater gebieterisch, die Mutter mahnend und duldend zugleich, die Kinder blass bis freudlos oder bedrückt. Die befremdliche Aura ist Resultat einer Inszenierung des Fotografen, aber auch Ausdruck einer zeitgebundenen Autorität, die sich im Bild verfestigt. Früher war jeder Erwachsene per se autoritär, Eltern, Lehrer, Pfarrer, Polizisten, der Schaffner im Zug, auch der Fotograf. Im Prinzip ist Fotografieren immer noch noch ein autoritärer Akt, bei dem einer bestimmt, der andere sich unterwirft. Die, die aufs Bild kommen sollen, haben den Anweisungen zu folgen. Welche Sitzhaltung sie einnehmen, wohin und wie sie blicken sollen, um einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen. Das war im Fotostudio immer ein bürgerlicher Eindruck, entsprechend „ständisch“ präsentierte man sich im Sonntagsanzug.

Dass Menschen auf alten Fotografien so ernst dreinblicken, hat nicht nur mit den früher viel längeren Belichtungszeiten zu tun, die absolute Bewegungslosigkeit und starre Mimik erforderten. Der „würdevolle“ Ausdruck, den das Objekt einnehmen sollte, und die Tatsache, dass die damals noch aufwendigen und kostspieligen Bilder zum Andenken, also gleichsam für die Ewigkeit, gemacht wurden, erzeugten den bekannten „autoritären Blick“. Kinder verloren dabei innerhalb von Sekunden ihre Natürlichkeit. Ruhig sitzen war das Mindeste, was ihnen abverlangt wurde – es sollte ja ein ordentliches Bild werden und einen später immer erinnern.

Ich weiß noch genau, wie unangenehm mir das Fotografieren bei der Erstkommunion war. 16 Buben im Anzug, 15 Mädchen im weißen Kleid, die Erstkommunionkerze sichtbar in der Hand. Wir hatten auf den Stufen unserer Kirche Aufstellung genommen, mussten minutenlang warten, was uns endlos vorkam, und während der ganzen Zeit ernst und ordentlich zum Fotografen sehen. Nur einer hat im entscheidenden Augenblick den Kopf woanders, er blickt zu Boden: ich.

Die strengen Worte meiner Lehrerin

 „Damit hast du deinen Mitschülern die schöne Erinnerung an diesen Tag zerstört.“ So oder so ähnlich klangen die strengen Worte meiner Lehrerin. Ich schämte mich. Auch vom Vater zu Hause, ebenfalls Lehrer, wurde ich gerügt. Was ich den anderen da angetan hätte! Das Bild könne man nun vergessen! Ob mir damals bewusst war, dass ich mit meiner Fehlleistung die Autorität des Fotografen und die der Schule untergraben hatte? Ich hatte nicht absichtlich weggesehen. Aber das Fotografiertwerden hatte mich genervt, auch das ganze künstliche Getue, das „Feierliche“ dieses Tages. Meine offenbare Abneigung, meine gelangweilte Haltung wurde im Bild sichtbar, sie stört bis heute das Andenken daran. Aber Ausdruck einer Autoritätsverweigerung war mein abgewandter Blick nicht.

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