Culture Clash

Du-weißt-schon-von-wem-Pädagogik

Müssen wir Montessori-Pädagogik umbenennen, weil der Vorwurf erhoben wird, dass Montessori Rassistin und Behinderten-Verächterin war? 

Eine neue Biografie wirft der Reformpädagogin Maria Montessori (1870–1952) vor, zeitlebens Rassistin und Eugenikerin gewesen zu sein. Und war es das, so war’s ein schwer Vergehen (um mit Shakespeare zu sprechen). In typischer Reaktion nimmt nun etwa die „Taz“ die Montessori-Pädagogik in Pauschalschutz: „Ganz egal“, ob weitere Aufarbeitungen folgen – das Konzept darf „nicht auf die Müllhalde“ geworfen werden. Aber was die Person betrifft: Ihr Name gehört gelöscht! „Straßen, die an kolonialistische Generäle erinnern, werden längst umbenannt. Vielleicht wäre es für die Montessori-Schulen auch an der Zeit.“

Menschen vom Podest zu stoßen, ihr Werk und Wirken aber dort zu belassen, ist nicht durchdacht. Hat Rassismus in Montessoris Konzept Spuren hinterlassen, gehört das Konzept dringend geändert, nicht bloß umbenannt. Erweist sich Montessoris Konzept aber als menschenfreundlich, wäre das nicht ein Zeichen, dass ihr Rassismus nicht tief ging und ihr Name also weiterhin mit Dankbarkeit genannt werden darf?

Person und Werk sind immer ineinander verwoben. Ein Extrembeispiel: Die Gau-Sachbearbeiterin für rassenpolitische Fragen, Johanna Haarer, hatte mit „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ 1934 einen Ratgeber-Bestseller geschrieben, der bis 1987 aufgelegt wurde. Ihre disziplinversessenen Ratschläge, etwa Säuglingen einen Still-Stundenplan aufzuzwingen und sie sonst allein schreien zu lassen, haben Generationen von Kinderseelen zugesetzt. Heute sind Buch und Autorin diskreditiert, die Bezüge zur NS-Ideologie liegen offen.

Bei einem anderen Beispiel steht die Aufarbeitung der Wirkung, ausgehend von der problematischen Person, noch an: Helmut Kentler, Bahnbrecher der modernen Sexualaufklärung, der soeben von Forschern der Universität Hildesheim als Mittelpunkt eines pädophilen Netzwerkes beschrieben wurde. Die Hauptfrage ist nun nicht, von welchen Schildern sein Name zu entfernen wäre, sondern ob Kentlers Neigung (die er selbst durchaus positiv sah) in der heutigen Sexualpädagogik fortwirkt. Etwa in der Idee, dass Kinder durch fremde Erwachsene frühzeitig und mit wenig Rücksicht auf kindliche Scham in die Welt der Sexualität eingeführt werden müssten. Kontaminierte Schulen können immensen Schaden anrichten, keine Pädagogik darf daher auf einem für Kritik unerreichbaren Podest stehen. Wenn sich aber Montessoris Werk – wofür es viele Anhaltspunkte gibt – als von gutem Geist beseelt und in der Wirkung segensreich erweist, sollte man auch den Namen seiner Urheberin nicht auf die Müllhalde werfen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/cultureclash

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.