Eine Selbstverständlichkeit des Lebens ging meinem Vater gerade verloren, das Vertrauen in den gleichbleibenden Geschmack der Dinge, in dem sich der Zusammenhang unseres Lebens erneuert.
Vorabdruck

Der Kies knirschte unter meinen Füßen

Ich sah mich als Kind am Gartenzaun stehen und auf die Gstättn schauen, wo Himbeer- und Brombeerstauden, Disteln und dorniges Gesträuch die zerbrochenen Ziegel, geborstenen Rohre, eingebrochenen Kästen einer aufgegebenen Barackensiedlung überwucherten. Ein Vorabdruck.

Die letzte Zigarette meines Vaters

Es war in dem kleinen Park hinter der Station für Chirurgie, in dem der Rasen unter den mächtigen Bäumen auch im Frühsommer braun blieb, dass ich mit meinem Vater auf einer Bank saß und er die letzte Zigarette seines Lebens rauchte. Einige Wochen vor seinem Tod hatte er mit einer Wut, die nur selten aus seinem wohltemperierten Gemüt aufschoss, gemerkt, dass ihm die vertrauten Speisen und Getränke fremd wurden, dass er keine Sicherheit im Schmecken mehr hatte. Den Wein fand er fade, er trank ihn weiter, aus Treue einem alten Laster gegenüber und in ratloser Empörung, dass er ihm nicht mehr die Freuden von früher bot. Gerichte, die mit dem Saft von Zitrusfrüchten versehen waren, empfand er auf einmal als bitter, und bei Süßem klagte er, dass es schmalzig schmecke. Er erschrak, eine Selbstverständlichkeit des Lebens ging ihm gerade verloren, das Vertrauen in den gleichbleibenden Geschmack der Dinge, in dem sich der Zusammenhang unseres Lebens erneuert.

Er war der kompromissloseste Raucher meines Lebens, sogar beim sonntäglichen Mittagessen, wenn seine Lieblingssuppe serviert wurde, hielt er drei, vier Mal mit dem Löffeln inne, um nach der im Aschenbecher abgelegten Zigarette zu greifen und einen tiefen Zug zu machen. Im Garten des Spitals, in dem er am nächsten Tag überraschend für uns und die Ärzte, aber vielleicht nicht für ihn selber starb, zündete er sich auf der hölzernen Bank, die meist leer blieb, weil sie in einem immerwährenden Schatten lag und der Juni noch kühl war, eine Zigarette an, verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die ich, so weinerlich und kindlich trotzig, noch nie an ihm gesehen hatte, und sagte: „Jetzt schmeckt mir das Rauchen auch nicht mehr!“ Nachdem er die Zigarette verächtlich weggeschnipst hatte, gingen wir stumm zurück zur Station, und auf dem Weg fiel uns, die wir einander sonst so gerne ins Wort fielen, weil das undisziplinierte Streitgespräch seit jeher zu unseren höchsten Vergnügungen als Vater und Sohn gehört hatte, mit einem Mal auf, wie laut der Kies unter unseren Füßen knirschte. Liebe.

Wie ich mich überlistete

Ich erwachte, weil die Holztreppe krachte, auf der der Mörder heraufschlich, und als er das Schlafzimmer betrat, sah ich das Messer, das er in Händen hielt und dessen Klinge wie im Mondlicht eines Filmes blitzte. Ich wusste, dass ich um Hilfe schreien müsste und keinen Laut herausbringen würde. Jetzt konnte mich nur mehr die Flucht ins Erwachen vor meiner Ermordung im Traum retten.

Es war noch dunkel, aber draußen kreischten aufgebracht schon die Vögel in den Bäumen unseres Gartens. Ich wälzte mich auf die andere Seite, die schwach leuchtende Schrift der Uhr zeigte, dass es kurz vor fünf war. Ich spürte, dass mich nach der glücklichen Rettung die Stricke dieser Stunde zu den düsteren Gedanken zu zerren begannen, die von mir Besitz ergreifen, wenn ich vorzeitig zwischen Nacht und Morgen aus dem Schlaf schrecke; und erst recht, wenn auf dem Gang zur Toilette mein Blick auf den von kaltem Neonlicht beleuchteten Spiegel fällt und mir ein aufgedunsenes Gesicht mit schlaff herabhängenden Tränensäcken entgegenschaut, ein alter Griesgram, dem das graue Haar büschelweise nach allen Richtungen absteht.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.