Gastkommentar

Eine kleine Streamingmusik

Auf Ö1 schickte man mich unlängst tatsächlich ins Netz und von dort unweigerlich in den Stream. Will ich das?

Immer wieder muss ich an den feschen Jäger aus einem Heimatfilm denken, wie er, mit hervor-ragenden Merkmalen Gewehr und Gamsbart ausstaffiert, eine Unterredung mit seiner baldigen Geliebten behufs eines ersten Dates aufs Denkwürdigste abschließt: „Am Samstag kann ich nicht, weil da spielen sie die 7. Bruckner im Radio.“

Bumm! Das ist Wertschätzung von Musik! Für heute undenkbar – neben all den anderen, in die Luft gepfefferten und sich in sie aufgelöst habenden Wertschätzungsarten. Und dann muss ich an den Koala denken. Der braucht sich keine Gedanken mehr über Kindeskinder zu machen. Was den Koala mit dem Ätherwellenjäger verbindet? Das Artensterben!

Neulich fiel ich brachial aus einer nächtlichen Sendeleiste. Ö1-Nachtmusik. Ich war schon schlummerbereit, schreckt mich da nach Ende eines Stücks ein lapidarer Sager hoch, man erfahre Werk und Interpretation im Internet, angefügt eine Rufnummer für Digitaldummies. Ich war hellwach und meine Wertschätzung fürs Radio erst einmal dahin. Man schickt mich tatsächlich ins Netz und von dort unweigerlich in den Stream. Will ich das? Abgesehen von der Achtlosigkeit gegenüber einer interessierten Hörerschaft ist es eine Entwertung von Musik, die wie in ein Endlosschleifen-Ranking gezwängt herabgestuft wird, ehe sie Ramschstatus erhält und sich von selbst erledigt. Wieso ich jetzt an den Riemenfisch denken muss? Der frisst sich selber auf. Blüht dem Radio Ähnliches, wenn es sich zunehmend dem Stream überlässt?

Wir streamen ja alle. Cool!

Wir streamen ja alle. Cool. Aber. Verlieren wir nicht den Kopf unterm Headset! Auch das Streamen von hochwertigen Kultur- und Wissensangeboten verursacht Blasenbildung. Konsumiert wird, was interessiert, alles andere bleibt außen vor. Nicht so beim Radio, hier hört man, was gesendet wird; man begegnet Inhalten von „außerhalb“, häufig folgen Aha-Erlebnisse, die einen ja doch (be)treffen. Hier ploppt explizit Empathiefähigkeit auf: Man lässt sich auf das andere, Unerwartete ein – als Analogie zur Empathie im Zwischenmenschlichen. Weiters. Die Allzeitverfügbarkeit, die den Wert dessen mindert, was man begehrt. Jegliches Bemühen und Versäumen soll umgangen werden; Bildschirmbindung heißt die Kanaille. Dabei: Welch Tatkraft und Freude stiftete einst eine versäumte Radiosendung, als man die bei Ö1 nachbestellte MC mit der Sendung darauf voller Erwartung aus dem Postfach zog. Und Übersättigung quillt dazu noch auf. Millionen displaygeschädigte, dehydrierte Brummschädel können das minütlich bezeugen. Jetzt noch ein Plädoyer zu halten für Langeweile, die aufkommen mag, wenn gerade nichts im Radio läuft, will ich mir lieber sparen. Nicht den Verweis aufs Energieverjuxen beim Streamen.

Streamingdienste hauen sich Milliardenklagen um die Ohren, um zu beklagen, was man selbst ausübt, nämlich User ständig zu lenken und zu behindern. Sie treffen sich in ihrer Bezugslosigkeit zu den Inhalten, welche sie anbieten, weiters in ihrer Ignoranz gegenüber jenen, von denen sie eigentlich leben, der Künstlerschaft; die vermeint allemal, von jemandem vertreten zu werden, der sie gar nicht vertritt. Das kennt man doch von woanders. Politik? (Wo sind nur die verantwortungsbewussten Politpoeten (-proleten), die im Prager Frühling eine Hochblüte erfuhren?)

Eingedenk des wohl von der Quantenphysik inspirierten Künstlergehalts von drei Euro für 1000 Streams lässt sich leicht denken, wo man als innovationsgetriebener Nischenkünstler hinkommt: ins Abschiebezentrum für aussterbende Arten – zum Koala.

Adi Traar (*1960) ist Musiker und Autor. Er war Solo-Oboist bei den Grazer Philharmonikern und lehrt an der Kunstuni Graz.

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