Gastkommentar

Bitte anständig schimpfen!

(c) Peter Kufner
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Nach dem Wiener Derby. Über das verlorengehende Verständnis für die Schönheit von Schmährufen auf dem Fußballplatz.

Die traurige Posse um die vermeintlich homophoben Schmährufe der Spieler von Rapid Wien nach dem lang ersehnten Sieg gegen die Wiener Austria sagt mehr aus über unsere Gegenwartskultur als über die Geisteshaltung der Fußballer. Es stimmt wohl, dass im Fußball nach wie vor Strukturen herrschen, unter denen homosexuelle Spieler massiv leiden. Und dagegen muss etwas unternommen werden. Aber es ist alles andere als gewiss, dass gerade in den Schmähgesängen nach dem Wiener Stadtderby Ende Februar etwas davon zum Ausdruck gekommen wäre. Wie es für Alibi- und Symbolpolitik typisch ist, sucht man mit wenig Treffsicherheit das Problem in einem Detail, um das Ganze weiterhin unberührt zu lassen. Man fällt mit übertriebenem Eifer mal schnell über verbale Äußerungen Einzelner her, anstatt sich längerfristig über das strukturelle Problem Gedanken zu machen. Nebenbei zerstört man damit aber auch noch etwas, was zum unverzichtbaren Charme des Fußballs gehört.

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Man kann an vielen Beispielen beobachten, dass unserer Kultur zunehmend das Verständnis für alles Überschwängliche, Exzessive, Ausschweifende abhandenkommt. Aber darf man denn nicht wenigstens auf dem Fußballplatz einmal schreien, was einem so passt?

Anstalt für Affektabfuhr

Soll die Sportarena kein Ort der Entladung aufgestauten Zorns, der Begeisterung sowie der Lust des Triumphes; keine Anstalt für notwendige Affektabfuhr mehr sein dürfen? Kein Ort jenes vom Kulturtheoretiker Johan Huizinga so treffend beschriebenen „heiligen Ernsts“ des Spiels, der sich vom leidenschaftsarmen Ernst unseres profanen Alltagslebens so grell unterscheidet?

Große Affektintensität führt fast immer zu poetischen Formulie­rungen. Verliebte beginnen zu dichten, Naturbegeisterte zu singen, Wütende und Zornige zu schimpfen – und immer entstehen dabei Formulierungen von großer Schönheit. Die ganze Kraft des ­Vulgären, sämtliche Register von Dialekt bis zur elaborierten Hochsprache werden beim Schimpfen blitzartig zu eigentümlich perfekten Lösungen zusammengeführt. Liebe und Hass, Verachtung und Mitleid, Stolz und Selbstironie, Ernst und Unernst – all das kann hier, in wenige Worte zusammengepresst, sich entladen.

Genau so verhält es sich zum Beispiel mit der von den Rapidlern gewählten Formulierung vom ­„oaschwarmen Veilchen“. Wie unempfänglich für den Witz dieser Formulierung, wie blind und wie ahnungslos in Bezug auf das Poetische, ebenso übrigens wie in Bezug auf die Kultur der Homosexualität und deren gebräuchliche, ambi­valente Redewendungen, muss man eigentlich sein, um in diesem Stück Schimpfpoesie nichts als Homophobie lesen zu können?

Robert Pfaller.
Robert Pfaller.(c) Peter Rigaud

Dabei könnte die Wortfindung der Rapidler glatt von Johann ­Nestroy stammen, oder auch vom Marquis de Sade. Dies macht ihren wohl selbst für die geschmähten Gegner spürbaren, einnehmenden Witz und Charme aus.

Warm wird’s auch …

Das Grobe, aus den Tiefen des Wiener Vorstadtdialekts stammende Analepitheton paart sich hier unverhofft mit dem hochsprachlichen Diminutiv der zarten Wiesenblume; der böse Angriff mit einem Anflug von Mitgefühl für die sowohl wegen ihrer Harmlosigkeit auf dem Platz wie auch wegen ihrer Club­farben im Pflanzlichen verorteten gegnerischen Mannschaft.

… wenn man die Hosen voll hat

Freilich steht das „Warme“ im Wiener Dialekt auch, wenig schmeichelhaft, für die Belange der männlichen Homosexualität. Und man kann an das berühmte Readymade des – übrigens alles andere als homophoben – Künstlers Marcel Duchamp denken, der 1919 einer Reproduktion von Leonardos „Mona Lisa“ einen Bart verpasste und sie mit der ehrwürdig antik anmutenden Bildunterschrift „L.H.O.O.Q.“ versah. Im Französischen ausbuchstabiert, ergibt diese Buchstabenfolge jedoch den Satz „Ihr ist heiß am Arsch“ – eine damals beliebte Formel unter Homosexuellen.

Warm ums Gesäß kann einem aber auch werden, wenn man die Hosen voll hat. Diese geschlechtsneutrale Gedankenlinie ist gerade im Fußball prominent. Von hier ausgehend eröffnet sich eine ganz andere Deutungsperspektive: Wiener mögen in dem Hütteldorfer Schmähruf nämlich auch eine Anspielung an den sogenannten „Veilchenschwank“ des Minnesängers Neidhart von Reuental erkennen. Der Held dieses Schwanks, Ritter Neidhart, entdeckt darin das erste Veilchen des neuen Jahres. Er bedeckt es mit seinem Hut, um es der Herzogin von Österreich zum eigenhändigen Pflücken zu überlassen. Einige Bauern aber, die dem Ritter einen Streich spielen, pflücken das Veilchen und platzieren an dessen Stelle einen Kothaufen unter dem Hut. In Wien ist die Überlieferung dieser Legende noch recht lebendig; viele kennen sie wohl noch aus ihrem ersten Sagenbuch. Sie gibt der Beschimpfung auch einen neuen, sehr präzisen Sinn: Die Austrianer sind demnach gar keine Veilchen. Vielmehr hat sich dort, wo man ein Veilchen erwartet hätte, etwas Exkrementelles gezeigt, das noch warm ist und darum frisch einem Gesäß entschlüpft sein muss.

Zum Reiz der Hütteldorfer Formulierung trägt nicht zuletzt auch ihr Rhythmus bei. Dieser überwiegt in der Dichtung oft gegenüber der Bedeutung der rhythmusgebenden Worte. So heißt Achill bei Homer immer „der schnellfüßige“ – auch dann, wenn der Held gerade traurig in seinem Zelt sitzt. Das schmückende Beiwort gerät zu einer „eingeschlafenen Trope“ (ein Begriff Viktor Šklovskijs): Man denkt nicht mehr ans Laufen, weil die Worte schon ganz mit dem Namen Achills zusammengewachsen zu sein scheinen.

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein bemerkt einmal: „Wenn ich, der ich nicht glaube, dass es irgendwo menschlich-übermenschliche Wesen gibt, die man Götter nennen kann – wenn ich sage: ,Ich fürchte die Rache der Götter‘, so zeigt das, dass ich damit etwas meinen (kann), oder einer Empfindung Ausdruck geben kann, die nichts mit jenem Glauben zu tun hat.“

Ein Wiener Charme-Beitrag

Genauso kann die Triumphformel der Rapidler einer bestimmten freudigen Empfindung momentaner Überlegenheit über den Stadtrivalen Ausdruck geben, ohne dass dies mit einem Vorurteil über männliche Homosexualität zu tun hätte. Daran lässt sich übrigens erkennen, wie aussichtsreich jene Seminare über geschlechtersensibles Sprechen sein werden, zu denen man die armen Rapidler jetzt vergattert: nämlich etwa so, wie wenn man die Österreicher, die mit dem Teufel fluchen, von Philosophen darüber belehren ließe, dass der Teufel nicht existiert.

Die Formulierung „oasch­warmes Veilchen“ aber könnte man wirksamer vom Verdacht der Homophobie befreien. Könnte dieses lokale Stück Poesie nicht als ein Wiener Beitrag zu jenem österreichischen Charme gelten, den die Österreich-Werbung einst schon zum Unesco-Weltkulturerbe erklären lassen wollte?

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Der Autor

Robert Pfaller
ist Professor für Philosophie an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Zu seinen Veröffentlichungen zählen u. a.: „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur“ (2008) sowie „Erwachsenensprache“ (2017), „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“ (2020) und „Zwei Enthüllungen über die Scham“ (2022, alle im S. Fischer Verlag).

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