Gastkommentar

Bildung: Über den Wert des Wissens

In der Lehre sollten der Stellenwert und die Art der Nutzung von digitalen Hilfsmitteln kritisch hinterfragt werden.

Spätestens mit der Forderung der AHS-Lehrergewerkschaft nach der Abschaffung der Vorwissenschaftlichen Arbeit scheint die Debatte um den Umgang mit künstlichen Intelligenzen endgültig im Bildungsbereich angekommen zu sein. In jüngster Vergangenheit reagierte auch die erste Hochschule auf das Problem der kaum nachweisbaren Praxis des „digitalen Ghostwritings“. Die FH Wien der WKW setzt die verpflichtende Bachelor-Arbeit aus und legt stattdessen den Fokus auf die Durchführung und Dokumentation praktischer Forschungsarbeit. Schritte wie dieser offenbaren Sensibilität für die Herausforderungen der Zukunft, rufen aber auch Kritiker hervor, die vor allem eines fordern: eine umfassende Einbindung digitaler Technologien in die Lernprozesse des Schul- und Hochschulbetriebs.

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Das dieser Stoßrichtung zugrundeliegende Hauptargument ist denkbar einfach: Im digitalen Zeitalter ist Wissen allgegenwärtig und in Sekundenschnelle abruf-, generier- und nutzbar. Es komme daher auf den Umgang mit diesen Wissensbeständen an, nicht auf das Wissen selbst. Oft zitiert wird in diesem Zusammenhang das Schlagwort des „Wissensmanagements“ – ein Konzept, das mit der Idealvorstellung des modernen Menschen als Informationsverwalter und Organisator einhergeht. Die Forderung nach der Abschaffung aller Arten von abschließenden Prüfungsformen, die auf der punktuellen Wiedergabe von Inhalten basieren, ist von diesem Punkt aus nur noch ein kleiner Schritt.

Fundamentale Denkfehler

Wer so argumentiert, sitzt einem fundamentalen Denkfehler auf. Einem, der den Wert des Wissens und Lernens in dramatischer Weise verkennt. Lernprozesse dürfen nicht als ein Anhäufen von Information verstanden werden, die entweder im Kopf oder eben in einer digitalen Datenbank gespeichert werden kann. Vielmehr wirkt erworbenes Wissen in ganz besonderer Weise auch auf die Persönlichkeit des Lernenden selbst. Wer Inhalte verstehend durchdringt, sich an ihnen abgearbeitet hat und dabei Wesentliches verinnerlicht, der ändert auch seinen Blick auf die Welt und das ihn Umgebende. Die kundige Botanikerin etwa wird beim Spaziergang durch den Wald ganz andere Wahrnehmungen machen als der durchschnittliche, weniger an Pflanzen interessierte Spaziergänger. Es drängen sich andere Eindrücke auf, es kommt zu differenzierteren Urteilen und veränderten Empfindungen. Das Wissen und der Weg zum Wissen haben Einfluss auf den, der es erworben hat – und das freilich in Bezug auf alle möglichen Wissensdomänen. Analog dazu könnte man argumentieren, dass dem Schüler, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, Lösungen, Texte und Projektarbeiten mithilfe künstlicher Intelligenz zu generieren, genau diese Auswirkungen des Selbsttätig-Seins versagt bleiben. Jeder Inhalt wird beliebig, weil er mit demselben geringen Aufwand generiert und wiedergegeben werden kann. Es liegt auf der Hand, dass sich wahres Interesse an Unterrichtsgegenständen oder Fachinhalten auf diese Weise wohl kaum erwirken lassen. Echte Neugierde hat in einer solchen Umgebung keine Chance, sich zu entfalten.

Keine Missverständnisse: Dass digitale Hilfsmittel ihren Platz in den Schulen moderner Gesellschaften haben müssen, steht außer Frage. Allein ihren Stellenwert und die Art der Nutzung gilt es kritisch zu hinterfragen. Sich Schulen und Hochschulen als Orte des Selbstdenkens, Selbstschreibens und Selbstarbeitens zu erhalten, könnte sich in vielfältiger Weise als gewinnbringend erweisen – insbesondere auch in Hinblick auf den Umgang mit weiteren (digitalen) Errungenschaften der Zukunft.  

Georg Platzer (*1986) studierte Philosophie und Bewegung/Sport an der Uni Wien; ist Lehrer an einer AHS in Niederösterreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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