Expedition Europa: Vor dem Belgrader Wahllokal waren „so viele Leute, dass die um halb zwölf Gekommenen ihre Stimme nicht mehr abgeben konnten“, erzählt Elena Koposova.
Neben Tiflis ist Belgrad die europäische Stadt, in der sich die größte putinkritische russische Diaspora angesiedelt hat. Derzeit sollen 150.000 Personen mit russischem Pass in Serbien leben. Im vergangenen Sommer begannen die Behörden des traditionell russophilen Landes aber damit, einige öffentlich gegen Kreml und Ukrainekrieg auftretende Exilanten aus Serbien hinauszuekeln.
Dorn im Auge ist vor allem Pjotr „Peter“ Nikitin, Mitbegründer einer „Russischen Demokratischen Gesellschaft“ (RDO), plus einige seiner auffälligen Mitstreiter. Als Nikitin im Juli 2023 aus dem Portugalurlaub zurückkehrte, wurde ihm die Einreise verweigert. Nikitin verharrte in der Transitzone des Belgrader Flughafens, gab pausenlos Interviews und ertrotzte sich so die Einreise.
Ein offener Brief gegen die russische Invasion der Ukraine
Am schockierendsten ist der Fall von Elena Koposova, einer Petersburger Übersetzerin von Romanen aus dem Englischen, die zu Hause alles verkauft hat, um sich seit 2019 ein Landhaus im mittelserbischen Waldhügelland Šumadija zu bauen, aus dem später auch eine feine Pension mit vier Zimmern werden soll. Sie spricht Serbisch, ihre zwei Kinder gehen in einen serbischen Kindergarten und eine serbische Schule, sie war politisch nicht engagiert, ist nicht einmal auf Demos gegangen. Am 2. Februar wurde die 54-Jährige plötzlich aufgefordert, das Land zusammen mit Mann und Kindern innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Der offizielle Grund: „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ Serbiens. Der vermutete Grund: Als eine von 27 Personen hatte sie im März 2022 einen offenen Brief gegen die russische Invasion der Ukraine unterschrieben. Autor des Briefes war Nikitin, den sie damals nicht einmal kannte.