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Wo bleibt es denn, das Ende der Welt?

Deckenfresko, das die Auferstehung Christi zeigt. St. Paul Melkite (griechisch-katholische) Kathedrale, Harissa, Libanon.
Deckenfresko, das die Auferstehung Christi zeigt. St. Paul Melkite (griechisch-katholische) Kathedrale, Harissa, Libanon.IMAGO
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Laut der Offenbarung des Johannes hätte sich bald nach der Auferstehung der Himmel auftun sollen: Krieg, Verderben, das Jüngste Gericht waren nahe. Aber nichts da. Heute feiern wir Ostern ohne jenes Schaudern, das die frühen Christen empfanden.

Kürzlich las ich in einer Abhandlung zur Glaubensökumene: „Auch Ostern ist ein Narrativ.“ Zuerst dachte ich mir: Ja, was soll es denn sonst sein? Es ist die Erzählung von der Passion Christi, seiner Auferstehung von den Toten und verklärten Rückkehr zu Gottvater.

Doch dann dämmerte mir, dass hier – unter Verwendung eines kulturwissenschaftlichen Modeworts – Abstand genommen wurde vom Dogma, welches die Hüter der „wahren“ christlichen Überlieferung seit jeher verfechten. Demzufolge ist Ostern nicht bloß ein Narrativ, was einschließt: eine Erzählung unter anderen; es ist vielmehr eine absolute Glaubenswahrheit. Aber eben der Umstand, dass es nur eine einzige solche Wahrheit geben kann, wird von den anderen monotheistischen Großreligionen geleugnet.

Jesus gilt – dem Koran entsprechend – als Prophet und Gesandter Gottes. In dieser Eigenschaft konnte er, gemäß der islamischen Vorstellungswelt, nicht am Kreuz sterben. Sure 4,157–158, sagt: „Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so. (…) Nein! Vielmehr hat Allah ihn zu Sich erhoben.“ Für Muslime zielt die österliche Passionsstimmung ins Leere.

Und obwohl im Christentum von Jesus als dem „Lamm Gottes“ die Rede ist, bleibt die Anspielung das jüdische Pessach-Fest – es handelt sich um das Blut eines Opferlammes zur Befreiung der Juden aus der Tyrannei Ägyptens – dem Ostergeschehen äußerlich. Jesu erste Anhänger waren Juden, sie bezeichneten ihn als Rabbi, das heißt: als Schriftgelehrten, ohne seine Gottessohnschaft zu erwägen. Demnach ist Jesus nicht die zweite göttliche Person im Rahmen der Lehre von der Dreieinigkeit („Trinität“). Dass Gott Jahwe in menschlicher Gestalt zur Vergebung der Sünden den Kreuzestod erleidet, ist der jüdischen Gefühlswelt fremd.

Die Gestalt des Jesus ist eingebettet in mehrere „Narrative“, von denen einzig das Christentum die Ostererzählung als Passionsgeschichte zur unbezweifelbaren Heilsbotschaft erhoben hat. Aber auch im engeren Bereich der christlichen Erzähltradition werden zunehmend Fragen aufgeworfen, die bislang bloß in den gelehrten Journalen diskutiert wurden. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das der Theologe und Religions­publizist Adolf Holl – er verstarb 2020 – mit mir führte. Damals war im Insel-Verlag gerade ein Texte-Kompendium erschienen, übersetzt und kommentiert vom Neutestamentler Klaus Berger und der Übersetzungswissenschaftlerin Christiane Nord: „Das Neue Testament und frühchristliche Schriften“.

Holl faszinierte die Koptische Petrus-Apokalypse

Man schrieb das Jahr 1999. Nun konnte der interessierte Laie endlich die noch erhaltenen Schriften des frühen Christentums, jene des Kanons und die Apokryphen, in ihrer Gesamtheit nachlesen, zeitlich geordnet, darunter die Papyrusfunde, die 1945 bei Nag Hammadi in Oberägypten aufgetaucht waren. Holl faszinierte besonders die sogenannte Koptische Petrus-Apokalypse, deren Entstehungszeitpunkt spekulativ bleibt; der unbekannte Verfasser hat sie dem Apostel Petrus zugeschrieben, um seinen eigenen Worten Autorität zu verleihen. Im Zentrum steht kein leidender, sondern ein lachender Jesus – kein „Lamm Gottes“, das nur durch seinen Tod die Menschheit vom Bann der Erbsünde befreien kann.

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