Expedition Europa: Ich begann über das Thema selektive Abtreibung zu recherchieren. Als Mann konnte ich daran nur scheitern.
Armenien rühmt sich seiner frühchristlichen Zivilisation, ist aber mit einem Stigma gezeichnet – selektive Abtreibungen weiblicher Föten. Laut CIA Factbook lag Armenien 2017 nur knapp hinter China, gleichauf mit Indien und vor dem Erzfeind Aserbaidschan: Auf 100 geborene Mädchen kamen 112 Buben. Besonders ausgeprägt ist das Phänomen ab dem zweiten Kind. Für die dritte Tochter haben alle Kaukasus-Sprachen spezielle Schimpfnamen. Sie bedeuten überall dasselbe: „Es reicht.“
Heute gibts mehr Tabletten anstatt rostiger Metallstücke
Ich begann das Thema, an dem ich als Mann nur scheitern konnte, vor zweieinhalb Jahren zu recherchieren. Gohar Schahnasarjan, Direktorin des „Center for Gender Studies“ an der Staatlichen Universität und Co-Autorin einer Studie zum Thema, erklärte mir an ihrem Jerewaner Arbeitsplatz, SSA (sex-selective abortion) sei hier „nichts Extremes, das hat es hier immer gegeben“. Heute werde weniger zu Hause „mit rostigen Metallstücken“ abgetrieben, dafür mehr mit vom Arzt verschriebenen Tabletten. „In den frühen Nullerjahren war Armenien führend, da kamen 120 bis 140 Buben auf ein Mädchen.“ Weil: Der Sohn ist der Stammhalter. Auf Armenisch: „Der Hüter des Familienrauchs“.