Sportgerät

Der Tacho in der Schwimmbrille

Tom Rottenberg
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Beim Schwimmen bei der Wende kurz auf die Uhr schauen war gestern: Die Anfang April auf den Markt gekommene Schwimmbrille „Form 2“ spielt Schwimmern Tempo, Distanz und Co. direkt ins Brillenglas und hilft im Freiwasser die Spur zu halten. Und zwar in Echtzeit.

Eine Schwimmbrille um 250 Euro? Geht‘s noch? Zugegeben: Nicht nur für Menschen, die sich im Wasser in der in den meisten Schwimmbädern und Seen mehrheitsfähigen „Köpfcheninderhöh’“-Herumdümpelhaltung fortbewegen, klingt das absurd. Denn, und das gilt dann schon auch für die meisten „echten“ Schwimmerinnen und Schwimmer, was muss und soll eine Schwimmbrille schon mehr tun, als die Augen vor allzu häufigem, direktem Wasserkontakt schützen? Denn zu 100 Prozent dicht oder dauerhaft beschlagsfrei ist bekanntlich kaum eine Schwimmbrille. Egal ob man dafür fünf, zehn oder 25 Euro bezahlt hat. Damit lebt man im Wasser. Es ist „part of the game“.

Aber dann kommt das kanadische Unternehmen „Form“ daher, legt Anfang April eine neue Schwimmbrille, die „Form 2“, an den Beckenrand – und will 250 Euro dafür. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und das Irre daran: das 2016 vom ehemaligen Leistungs-Schwimmer Dan Eisenhardt gegründete Label kommt damit nicht nur durch, sondern wird auch noch gefeiert.

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Wieso? Ganz einfach: Weil sich niemand so eine Brille kauft, der das, was sie kann, nicht – zumindest gefühlt – auch braucht: Denn „Form“-Schwimmbrillen, sowohl die ältere als auch die soeben auf den Markt gekommene Version 2, zeigen dem Schimmer oder der Schwimmerin alle für das Training relevanten Daten (und noch ein paar mehr, aber dazu später) in Echtzeit: Pace, Distanz, Längen, Zugzahl, Pausenzeiten, Puls … und so weiter.

Keine Frage: Das tut und kann jede halbwegs gute Sportuhr mit Schwimm-Funktion seit Jahren.

„Augmented Reality Display“ im Brillenglas

Nur: Mit der „Form“ (der alten ebenso wie er neuen) hat man diese Daten immer vor Augen. Im Wortsinn: Die smarte Brille hat ein sogenanntes „Augmented Reality Display“ direkt ins Brillenglas integriert. „Near-Eye Devices, (NEDs) lautet der Fachbegriff für derartige Anwendungen.. „Waveguide-Display mit Freiform-Optik“ heißt das im der Firmen-PR-Lingo. Das Display ist so unauffällig, dass man es nicht sieht. Die Schrift aber sehr wohl: Die Zahlen und Daten „schweben“ quasi im Wasser – und zwar so klar, dass das Auge nicht eigens fokussieren muss. Und, ja, das funktioniert auch, wenn der Schwimmer sonst (Lese-)Brille trägt.

Anfangs ist das allerdings durchaus irritierend: man schwimmt bekanntlich dorthin, wo der Kopf hin zeigt. Ein neuer, unbekannter Reiz bedeutet, dass nach dem Auge auch der Kopf unwillkürlich in Richtung Reiz zieht – und plötzlich ist die Kette (also die Leine, die im Wasser Schwimmbahnen voneinander trennt) sehr sehr nahe. Freilich: nach ein paar kleineren Kollisionen hat man das meist (halbwegs) im Griff.

Das Handgelenk vors Auge zu ziehen, stört den flüssigen Stil

Und ein paar hundert Meter später lernt man dann auch, nicht permanent und ausschließlich auf den „Tacho“ zu schauen. Und dennoch zu verstehen, was er zeigt und wie er funktioniert. Denn schon in der einfachsten Trainings-Basiseinstellung liefert die Form – wir bleiben noch im Pool – punktgenau und akkurat Daten, die man unterwegs sonst nie sieht: Das Handgelenk während eines Schwimmzuges vors Auge zu ziehen, ist schließlich das Gegenteil von technisch sauberem, „flüssigem“ Schwimmen – egal in welchem Stil.

Mit der smarten Schwimmbrille aus Kanada sieht man aber, wie schnell man gerade ist. Nach Wenden springt das Display kurz –wenn man das so eingestellt hat – auf andere Werte: Set-Distanz, Gesamt-Trainingszeit, Gesamt-Distanz oder Pulsfrequenz etwa. Macht man Pause, erkennen das die Bewegungssensor ebenso – und zeigen wieder (je nach Einstellung) andere Werte. Einen Timer etwa, der die Dauer der Rast anzeigt. Das Wieder-Losschwimmen erkennt die schlaue Elektronik natürlich auch – und zwar ohne Knöpfchendrücken: Das kann kaum eine Uhr.

Gutes Schwimmen steht und fällt mit der Wasserlage

Ebensowenig wie das, was der neuen Form 2 nun mitgegeben wurde: Informationen über die Wasserlage und Technik bereitstellen beispielsweise. Denn das ständige Messen der Kopfposition – also wie lange und hoch man (beim Kraulen) den Kopf zur Seite dreht, wie weit, tief oder hoch man den Kopf nach vorne oder unten kippt – liefert wertvolle Hinweise darauf, wie das eigene Schwimmen effizienter, ökonomischer und damit besser werden kann. Denn gutes Schwimmen steht und fällt – schwimmstilunabhängig – mit der Wasserlage. Dann zählt Technik und dann noch einmal Wasserlage. Kraft kommt da erst relativ spät ins Spiel.

Mit das Feine an der „Form 2“ ist, dass sie ebenso wie ihre ältere, ein wenig klobigere und nicht ganz so perfekt sitzende Schwester, all diese Daten sammelt und über die eigene App dann auch kompakt und sogar für Laien verständlich ausgewertet präsentiert: In welchem Schwimmstil wurde da wie lange geschwommen, wie viele Züge brauchte man pro Bahn, wie lange waren die Pausen. Und so weiter. Das weniger Feine, in der Welt der komplett vermessenen individuellen sportlichen Performance aber längst Normale, ist, dass einige (nicht alle) dieser High-End-Services (speziell die der Form 2) dann nur über ein kostenpflichtiges App-„Premium“-Abo (99€/Jahr) verfügbar sind. Die grundlegenden Daten sind aber ebenso wie der Datenexport an gängige Trainings- und Tracking-Apps (etwa Strava) kostenfrei. Das Importieren von am Festland zusammengestellten Trainingsplänen (etwa aus Training Peaks) aufs Smart-Display fällt dann aber schon unter „Premium“…

Killer Feature künstlicher Horizont

Ebenso wie das Freiwasser-„Killer Features“ der Form 2: Der – vereinfacht gesagt – künstliche Horizont. Dieses unter dem Namen „Swim Straight“ markenrechtlich eingetragene Tool soll mithelfen, im Freiwasser die Richtung zu halten. Über einen Kompass wird die „ideale Gerade“ auf dem Head-Up-Display angezeigt. Respektive die Abweichungen von ihr: Kurshalten und Orientieren gehören nämlich mit zu den schwierigsten Aufgaben im Freiwasser. Dass das Feature hält, was es verspricht, konnte der Tester bereits prüfen: Wiewohl bekennender „Warmduscher“, der bei Wassertemperaturen unter zehn Grad indoor schwimmt, konnte er am warmen April-Sommer-Wochenende bereits ins erste Freiwasser-Schwimmtraining eintauchen. Und dabei den künstlichen Horizont ganz hervorragend erleben.

„Swim Straight“ darf übrigens auch im Wettkampf verwendet werden. Das ist nicht zuletzt als Verkaufsargument wichtig: Beim Schlangenlinienschwimmen im Freiwasser verliert man im Training viel Zeit. Dass man im Wettkampf dann meist im Wasserschatten anderen Athlet:innen nachschwimmt und (trotz deren Abweichungen) immer noch Kraft spart, spielt in der Eigenwahrnehmung keine relevante Rolle.

Ha! Schneller als beim letzten Mal – heute, jetzt!

Spricht man mit TriathletInnen wird dann auch rasch klar, dass Form-Gründer Dan Eisenhardt seine Schäfchen kennt: Profi- und Elite-SchwimmerInnen, die Tools wie die Form-Schwimmbrillen tatsächlich ausreizen und auch brauchen, sind wohl nur der kleinere Teil der von ihm anvisierten Herde. Wirtschaftlich relevanter sind die abertausenden „Hobbetten“. Menschen also, die in ihren „Wahnsinn“ viel Zeit und Liebe, aber eben auch richtig viel Geld zu stecken bereit sind: Wer sich „Ironman“-Startgebühren über 600€ leistet, (zuzüglich Reise- und Hotelkosten), wer tausende Euro für Zeitfahrräder (natürlich zusätzlich zum „normalen“, ebenfalls nicht billigen Straßenrennrad) und hunderte Euro für Neoprenanzug, Trainingsplan und Co. ausgibt, den scheuen die Anschaffungskosten der Form 2 auch nicht. Und ein weiteres Premium-Abo „verspielt“ sich zwischen all den anderen App-Abos recht rasch – allerspätestens, wenn beim Schwimmen dieses „Wow“-Gefühl aufpoppt, sobald nach der ersten Wende am Display glasklar vor Augen steht, dass man heute, jetzt, schneller ist als beim letzten Mal.

Daran ändert auch nichts, dass da so gut wie immer auch andere im gleichen Pool unterwegs sind, die deutlich schneller, sauberer und besser schwimmen – und zwar mit ganz einfachen, billigen Schwimmbrillen. Das wissen eh alle – doch darum geht es bei Sportgadgets im Amateur- und Hobby-Bereich ja nicht.

Ach ja: Erhältlich ist die Brille online unter www.traildog.at, derzeit nur auf Bestellung.

Fakten

Die Form Smart Swim 2 kostet 249 Euro, etwa im Trail-Lauf-Shop Traildog Running (derzeit nur auf Bestellung); die Form Smart Swim 1 ist um 179 Euro weiter erhältlich. Hier geht‘s zur Website.

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