Gastkommentar

Ein Gift für unsere westliche Grundordnung

(c) Peter Kufner
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Erschreckend, wie häufig der Kommunismus immer noch als Heilmittel gepriesen wird, vor allem wenn es um das Wohnen und Heizen geht.

Als „toxisch“ wurde die kommunistische Ideologie zu Recht bezeichnet – ein Gift für unsere westliche Grundordnung, die Demokratie, die Stellung des Individuums, die Menschenrechte, das freie Wort, Leistung und Selbstverantwortung. Dennoch wird Kommunismus als Heilmittel gepriesen, selbst wenn es um Wohnen oder Heizung geht. Das macht ihn fürs Erste attraktiv, gleichzeitig auch gefährlich: Schon 1919/20, als nur Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam per Gesetz die Betriebsräte einsetzten und damit die wegen ihrer sozialen Fürsorge relativ beliebten kommunistischen Arbeiterräte (Sowjets) ausschalteten, oder 1950, als der Gewerkschafter Franz Olah den KP-Putsch, der aus den sowjetischen Usia-Betrieben heraus organisiert wurde, in Wien niederschlug.

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Fest steht: Die ehemaligen KP-Regime waren in keinem Land erfolgreich, weil ihre Ideologie dem zutiefst menschlichen Streben nach Eigenverantwortung, Individualität, Freiheit, Leistung und Eigentum zuwiderlief. Als jedem alles gehörte, gehörte niemandem etwas. Am Ende stand eine geschlossene, indoktrinierte von der Polizei überwachte Gesellschaft, die das Individuum der Masse untergeordnet hatte.

100 Millionen Tote im 20. Jahrhundert

Suchen Sie nicht nach Beweisen. Die erste Frage heißt, welcher Klasse er angehört, was seine Herkunft, sein Bildungsstand, seine Schulbildung, sein Beruf ist“, befahl die Geheimpolizei Tscheka. Denn der Angeklagte Iwan Grigorjewitsch „blieb immer der, der er von Geburt an war – ein Mensch“.

Genau deshalb aber war er ein Opfer des kommunistischen Terrors geworden. Menschen wurden getötet unter dem Vorwand, dass sie geboren waren. Lenin befahl, wie vor ein paar Jahren eine Ausstellung in Moskau dokumentierte, jeden dritten Bewohner eines Dorfs über Nacht zu töten.

An die 100 Millionen Tote wurden für das 20. Jahrhundert aufgelistet, davon 65 Millionen in China, 20 Millionen in der Sowjetunion, je zwei Millionen in Nordkorea und Kambodscha, Millionen in Vietnam. Es sind die in Stein gravierten Zahlen der – neben dem Mord an Millionen Juden – größten Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts.

Die KP-Diktaturen machten die Massenverbrechen systemimmanent: Ob im jugoslawischen Goli otok, im tschechischen Uran-Bergbau Jáchymov, im russischen Kohlenrevier von Workuta, im polnischen Wald bei Katyn oder in den Sonderlagern der DDR. Ganz zu schweigen von den unzähligen Orten der Gewalt, in den Gefängnissen, Verhörzellen oder an den Hinrichtungsorten wie im Donskoj-Kloster in Moskau oder in Butovo, am südlichen Stadtrand von Moskau, wo unter Stalin Zehntausende hingerichtet und verscharrt wurden. Frische Erde und Birken sollten die Verbrechen zudecken. Nur einen Steinwurf entfernt legte man in den 1960er-Jahren schließlich einen internationalen Campingplatz an. Die Erde der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten ist getränkt vom Blut unschuldiger Opfer.

Es waren Verbrechen gegen den Geist, gegen nationale Kulturen, Personen und Völker. Dazu kamen die drei Hauptverbrechen: gegen den Frieden, Kriegsverbrechen (wie in Katyn 1940) und vor allem Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Deportationen, Versklavungen, massive und systematische Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, Menschenraub oder Massenfolterungen). Millionen wurden umgebracht, denen nichts vorzuwerfen war, außer dass sie Adelige, Bürger, „Kulaken“, Ukrainer, Juden, Intelligenzler oder alte, in Ungnade gefallene KP-Mitglieder waren. Und als die Gulag-Lager 1953 geschlossen wurden, kamen KP-Gegner in die Zwangspsychiatrie.

Ein Tod auf Raten

Der Terror richtete sich gegen jegliche Opposition, gegen ganze gesellschaftliche Gruppen und gegen Völkerschaften. Kleine Völkerschaften wurden deportiert, die Männer großteils erschossen, die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht oder Neusiedlern übergeben. Millionen Bauern („Kulaken“) wurden zwar nicht an Ort und Stelle erschlagen, doch die Zwangsarbeit in den unwirtlichsten Gebieten ließ ihnen wenig Überlebenschancen: Ein Tod auf Raten.

Die bewusst inszenierte große „Hungersnot“ in der Ukraine und teilweise in Südrussland raffte zu Beginn der Dreißigerjahre an die sechs Millionen Menschen dahin. Massentötung durch Hunger. Dazu kam jene durch Zwangsarbeit ohne praktische Überlebenschance im Gulag und die ständig aufrechterhaltene Angst, Opfer der Massenrepression zu werden.

Ende der Zwanzigerjahre etwa musste aus jedem Gebiet und jedem Rayon ein bestimmter Prozentsatz von Personen, die „feindlichen“ Gesellschaftsschichten angehörten, verhaftet, deportiert oder erschossen werden. Die Prozentsätze wurden am grünen Tisch in Moskau festgelegt. Die Ausführung besorgten ihre Helfer und Helfershelfer.

In Novotscherkassk demonstrierten 1962 Frauen und Arbeiter für mehr Lebensmittel und höhere Löhne, verhöhnten aus Wut Beamte und verprügelten Polizisten. Das KP-Regime setzte das Militär ein: 24 bis 26 Tote lagen in den Straßen, ein Schauprozess und Geheimverfahren folgten. Sieben Rädelsführer wurden hingerichtet und ihre toten Körper vor der Stadt zu Heuschobern gelegt und den streunenden Hunden zum Fraß gegeben.

Lange Zeit waren die Verbrechen total tabu. Die Kommunisten wussten, dass sie stetig Unrecht taten und zuließen. Chruschtschow: „Wir wissen heute, dass […] sie unschuldig waren. […] Früher oder später werden die Leute aus den Gefängnissen und Lagern kommen […] Sie werden […] allen daheim erzählen, was passiert ist.“

Ab 1991 waren die Archive in den ehemaligen Ostblockstaaten zugänglich, die Forscher haben sie genützt. Daher ist heute das Ausmaß der kommunistischen Verbrechen bekannt. Dennoch kann sich in Österreich eine Partei dieser kommunistischen Bewegung mit jahrzehntelangen direkten Verbindungen zur Zentrale in Moskau noch immer kommunistisch nennen, können die erwiesenen Verbrechen der kommunistischen Bewegung weggeblendet werden. Warum?

Zu wenig Wissen an Schulen

Sind es Strukturlagen der Forschung, ist es der schwierige Zugang zu den Archiven, ein Sprachproblem? Ist es die viel zitierte Blindheit auf einem, dem linken, Auge? Ist es die Positionierung eines großen Teils unserer geistigen Elite? Ist es die regelmäßige Mobilisierung des Antifaschismus ganz nach der Brecht-Devise: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Nur sehr wenige Forschungsprojekte werden etwa zur bedeutenden österreichischen Rätebewegung nach dem Ersten Weltkrieg, zu den KP-Verbrechen an Österreichern oder zum Verhältnis von KPÖ und KPdSU beantragt. In den Schulen und in den historischen Seminaren ist die Beschäftigung mit dem Kommunismus und seinen Regimen eine große Ausnahme. Die jüngsten Wahlerfolge der Kommunisten auf lokaler Ebene von Graz bis Salzburg machen die Beschäftigung mit dem Kommunismus und seinen Auswirkungen wieder notwendig. Es ist keineswegs nur ein historisches Thema.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Stefan Karner (* 1952) Historiker, Gründer und langjähriger Leiter des Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung und Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Universität Graz: www.bik.lbg.ac.at

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