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Woher rührt denn der Glaube der Klimakläger, dass der Staat gerade jetzt in ihrem Sinn handeln wird?

Nach der Entscheidung des Gerichtshofs: Die Klimaseniorinnen beantworten Fragen von Journalisten.
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs: Die Klimaseniorinnen beantworten Fragen von Journalisten. Jean Christophe Bott/Picturedesk
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Die Klimakläger trauen dem Staat bis zu einem gewissen Punkt – sonst würden sie nicht klagen. Was aber ist mit den anderen? Mit jenen, die der Meinung sind, von den Institutionen sei keine Hilfe mehr zu erwarten? Und jenen, die meinen, es gebe gar keine Klimakrise? Peter Rosei, Schriftsteller und Jurist, über das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Dienstag, der 9. April, war Matchtag in Sachen Klimaklagen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied über einen Antrag Schweizer Seniorinnen, die in der bisherigen Politik ihres Landes eine Missachtung der Menschenrechte erkennen wollten, genauer gesagt sahen sie ihr Recht auf eine Umwelt verletzt, die ihre Gesundheit nicht bedroht – und die Frauen obsiegten. Da die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, bedeutet das Urteil, dass der Staat nun handeln muss – allerdings wann und wie, bleibt offen, bleibt ihm überlassen.

Am 9. April wurde auch über einen Antrag aus Portugal entschieden: Junge Leute hatten die Bundesrepublik Deutschland und weitere Staaten verklagt, ebenfalls wegen ihrer Klimapolitik und aus eben den Gründen, die auch die Schweizer Seniorinnen vorgebracht hatten. Die Klage wurde abgewiesen, aus formalen Gründen; die jungen Leute hätten erst vor heimischen, portugiesischen Gerichten klagen müssen.

Aufschlussreich sind zu letzterem Fall zwei Kommentare aus dem deutschen Justizministerium: Dort sieht man keinen direkten Einfluss der deutschen Politik auf die Umweltsituation in Portugal, obschon doch klar ist, dass CO2 und andere Schadstoffe sich nicht an Grenzen halten. Auch eine anteilige Verantwortung wird abgelehnt. Noch aufschlussreicher: Laut Justizministerium der Bundesrepublik verpflichtet die Pariser Klimadeklaration den Einzelstaat nicht, die Einhaltung der in Paris festgesetzten Emissions-Obergrenzen sicherzustellen. Die hier ausgedrückte Rechtsmeinung stellt darauf ab, dass, kann kein direkter Kausalzusammenhang zwischen Emission und Folgeschaden hergestellt werden – und dies wird in einer Vielzahl von Fällen kaum möglich sein –, jede Haftung abgelehnt wird: eine wegweisende und bestimmt keine gute Botschaft für die Sache der Umwelt und jene, die um ihre Sanierung kämpfen.

»Was auf der europäischen juristischen Bühne spielt, ist im Ergebnis auf den Rest der Welt nicht anwendbar.«

Aufschlussreich ist in dem Belang wohl auch der Spruch des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 2021, der die damalige Regierung verpflichtete, das bestehende Klimaschutzgesetz zu überarbeiten: Die rot-schwarze Regierung Merkel reagierte mit der Festlegung strengerer Klimaziele. Seit dem Urteil 2021 und seinen politischen Konsequenzen sind jedoch infolge von Inflation, Krieg und der aus dem Krieg resultierenden Energiekrise viele der damals propagierten Ziele abgeschwächt, aufgegeben oder, wie es heißt, „neu justiert“ worden.

Was auf der europäischen juristischen Bühne spielt, ist im Ergebnis – und dieses Ergebnis ist fragwürdig genug – auf den Rest der Welt, der ja etwas größer ist (man muss es immer wieder betonen), durchaus nicht anwendbar. In den USA etwa hat jeder einzelne Bundesstaat die Hoheit in Sachen Klimapolitik, was die gerichtliche Klärung solcher Fragen naturgemäß erschwert. Indien? China? Bangladesch? Nigeria? Was ist es mit all den anderen Ländern, die Europa als Handelspartner, jedenfalls aber in Hinsicht auf die vielbesprochenen Lieferketten zum Teil aufs Engste verbunden sind?

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