Gastkommentar

Nebelmaschinen im Jugendstrafrecht

Am Beispiel der Herabsetzung der Strafmündigkeit: Eine Handreichung zur Ausbeutung von Kriminalität.

Ausbeutung ist nichts Einmaliges, sondern etwas Prozesshaftes. Es ist daher wichtig, das Thema Herabsetzung der Strafmündigkeit länger zu bespielen: Zunächst als erster Vorschlag, dann als Zwischenbericht, hernach ein Endbericht, und anschließend werden sich schon Gelegenheiten geben, weiter am Ball zu bleiben.

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Vermeide es peinlich, dich mit öffentlichen Stellungnahmen von Fachleuten wie zum Beispiel der des Netzwerks Kriminalpolitik auseinanderzusetzen, wenn diese zahlreiche Argumente gegen eine Herabsetzung der Strafmündigkeit liefern. Es genügt, überzeugt zu sein, „dass sich am Ende das Richtige und das Vernünftige auch durchsetzen wird“. Solche trefflichen Formulierungen sparen es, nachvollziehbar zu machen, auf welchen Expertisen deine Vorhaben ruhen.

Sei unbekümmert im Umgang mit ausländischen Beispielen. Es ist doch eindrucksvoll, die Schweiz, in der die Strafmündigkeit mit zehn Jahren beginnt, als Argument heranzuziehen. Wer liest schon eine APA-Meldung mit der Überschrift „Schweizer Jugendstrafen – teilweise zehn Tage soziale Arbeit für Mord“, in der Folgendes detailliert dargestellt wird: In der Schweiz sind bei Kindern diese zehn Tage die schärfste Sanktion und bei Jugendlichen sind die Strafobergrenzen viel niedriger als bei uns, nämlich maximal vier gegenüber maximal 15 Jahren hierzulande.

Gib unbedingt gesetzlichen Verschärfungen den Vorrang vor einer Analyse des bestehenden Umgangs mit dem Problem und ernsthaften Versuchen, dass die Zuständigen ihre Verantwortung (noch) besser wahrnehmen und ihre Kooperation erfolgreicher wird. Vorrang hat doch das, was sich politisch einfach verkaufen lässt.

Benütze den Ruf nach strengerer Gesetzgebung als Nebelmaschine. Achte sorgfältig darauf, dass die für Kinder- und Jugendwohlfahrt zuständigen Bundesländer aus dem Diskurs und kritische Hinterfragungen draußen bleiben. Sei froh, dass es den Bundesländern gelungen ist, von der Auseinandersetzung über Kinderkriminalität weitgehend unbehelligt zu bleiben.

Lasse auf keinen Fall eine Diskussion aufkommen, ob die gänzliche Übertragung der Gesetzgebung auf die Bundesländer eine gute Idee war. Immerhin zeigten sich die Kinder- und Jugendanwartschaften damals hierüber sehr besorgt: „Affront für Weiterentwicklung einer modernen Kinder- und Jugendhilfe.“

Steuere die Diskussion mit markigen Vorschlägen

Vermeide auch eine lösungs­orientierte Auseinandersetzung über die Hintergründe und Ursachen, wieso bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mögliche begrenzte und maßhaltende Freiheitseinschränkungen in der Praxis weitgehend unterbleiben.

Steuere die Diskussion mit markigen Vorschlägen so, dass Fragen wie „Was hat das mit Auswirkungen der Pandemie und mit psychiatrischer und psychotherapeutischer Unterversorgung zu tun?“ möglichst wenig hochkommen.

Die großartige Margaret Thatcher hat gesagt: „There’s no such thing as society.“ Es ist daher selbstverständlich, kriminelles Verhalten von jungen Menschen als Problem zu definieren, das ­lediglich diese und ihre Eltern ­betrifft. Dass es auch um Benachteiligung, verkürzte Entwicklungsmöglichkeiten und fehlende Zukunftsperspektiven gehen kann, sollte tunlichst kein Thema sein.

Zu guter Letzt: Bleibe dabei, der Schmiedl zu sein, der dem Schmied hinterherläuft. Immerhin hat die FPÖ mit zwei parlamentarischen Anträgen zur Absenkung der Strafmündigkeit den Kurs vorgegeben. Erspare dir, eine neue, andere Rolle einzunehmen. Bleibe Schmiedl. Bewahrung ist doch eine konservative Tugend.

ao. Univ.-Prof. Dr. Mag. Wolfgang Gratz (*1950) ist Kriminologe.

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