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Putins Großvater bekochte Stalin: über Heldenverehrung in Russland und Georgien

Figuren auf einem Markt in Tiflis.
Figuren auf einem Markt in Tiflis.Shakh Aivazov/Picturedesk
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Bewunderung für Stalin und ­Antikommunismus werden in Georgien oft nicht als Widerspruch empfunden – ein Phänomen, das kennzeichnend ist für die Gemütsverfassung von ­Georgiern im Verhältnis zu ihrer eng mit Russland verknüpften Geschichte.

Der georgische Stalinismus ist von einer anderen Natur als der russische. Ich meine nicht den blauäugigen Stalinismus der Alten, sondern den der Jungen. Es ist ein Stalinismus der Abgebrannten. Er ist gleichsam der Lobpreis einer alten Lampe, die nicht mehr funktioniert, aber den letzten Gegenstand des Hausrats darstellt, der nach einer harten Diktatur, einem Bürgerkrieg und einem russisch-georgischen Krieg noch geblieben ist als allerletzte Habseligkeit, die man zu loben nicht umhinkann. Andernfalls wäre man bar jeder Habe – ein unerträgliches Gefühl für ein Volk, das selbst nach dem Tod Stalins im sowjetischen Reich politisch, kulturell und beruflich im Vergleich zu seinem Anteil an der sowjetischen Gesamtbevölkerung weiterhin unverhältnismäßig reüssierte und materiell auf großem Fuß zu leben wusste und eine Art farbenfrohe Alltagsdominanz in der sowjetisch grauen Tristesse behauptete. Eine Erinnerung auf der Habenseite, ein historischer immaterieller Vermögenswert. The last asset of the lost – Stalin als Charakter eine möglicherweise banale Person, die aber über die politische Ohnmacht des Landes hinwegzutäuschen vermag. Oder eine Art Crystal Meth, als Aufputschmittel gegen eine kulturell oder historisch fade empfundene Gegenwart. Banca rotta: lieber ein Negativstand als gar nichts auf dem Konto. Wer große Schulden hat, den nimmt man wenigstens ernst. Hoffentlich. Vielleicht. Mal sehen.

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