Gastkommentar

Anlass Familienzuzug: Wie viel Migration ist noch zumutbar?

(c) Peter Kufner.
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Selbst den unvoreingenommenen Bürger beschleicht das Gefühl, dass „die da oben“ „die Sache“ nicht im Griff haben.

Wer diesen Dienstag in Wien öffentlich unterwegs war, wurde über Infoscreen mit zwei „gegenläufigen“ Meldungen konfrontiert. Nach der einen ist die Zahl der Asylbewerber in Österreich im Sinken, nach der anderen steht das Wiener Schulsystem aufgrund des Familiennachzugs vor dem Kollaps. Ein Zeitungsbeitrag wies darauf hin, dass Integration in der Schule nur funktioniert, wenn die einheimischen Schüler in der Mehrheit sind. Nach anderen versagt die schulische Integration schon dann, wenn die Kinder mit Migrationshintergrund in der Klasse eine kleine Clique bilden können. Wenn die schulische Integration aber versagt, dann führt das unweigerlich zur Ghettobildung und zum Entstehen einer Parallelgesellschaft.

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Selbst den unvoreingenommenen Bürger beschleicht da das Gefühl, dass „die da oben“ (die Regierung) „die Sache“ nicht im Griff haben, weil wir in eine unzumutbare Situation geraten (sind). Wer sich kein ausgewogenes Urteil bilden kann, mag zur Meinung kommen, man müsse jene „ranlassen“, die versprechen, die Sache endlich in den Griff zu nehmen. Und da wir in Österreich vor wichtigen Urnengängen (EU-Wahlen, Nationalratswahlen) stehen, steht zu befürchten, dass dabei viele Wähler für eine „gesunde“ Ausländerpolitik das, was sie nicht durchschauen (z. B. Ausverkauf Europas an Putins Russland), in Kauf nehmen.

Der besorgte Bürger fragt sich natürlich, ob man gegen eine solche Gefahr etwas tun kann. Welchen Beitrag kann der Völkerrechtler hier leisten? Das Ergebnis bisheriger Ansätze „im Detail“ ist unbefriedigend. Das Problem muss grundsätzlich angegangen werden.

Die internationale Gemeinschaft ist in den entscheidenden Punkten gescheitert. Konstruktionsfehler in der UN-Charta haben dazu geführt, dass das Friedensziel mangels funktionierender kollektiver Sicherheit („alle gemeinsam gegen einen Aggressor“) ebenso verfehlt wurde wie in weiten Teilen der Welt das Freiheits- und Wohlfahrtsziel, weil beide gegen den die dort Regierenden, denen die notwendige Fähigkeit oder der gute Wille fehlt, nicht durchgesetzt werden können.

Lösungen des Völkerrechts

Diese unsichere, unfreie und ungerechte Welt ist der Hintergrund unserer Asyl- und Migrationsmisere. Vielen dortigen Menschen erscheint „der Westen“ wie „das Land, in dem Milch und Honig fließen“; viele wollen dahin, „koste es, was es wolle“ (Stichwort Schlepperunwesen). Nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissars hat die für Flüchtlingsbewegungen in und aus Europa bestimmte Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bisher zum Schutz von über 50 Millionen Menschen beigetragen. Nicht enthalten sind darin die vielen Millionen „Wirtschaftsflüchtlinge“. Fast alle reklamieren allerdings für sich Flüchtlingsstatus. Und selbst wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird, scheitert die Abschiebung daran, dass die wenigen Staaten, die bereit sind, sie zurück- oder aufzunehmen, als nicht sicher eingestuft werden.

Der richtige Ansatz ist die Frage nach dem Zweck der Konvention. Er kann nicht die Lösung eines Asyl- und Migrantenproblems sein, das sich in seinen gegenwärtigen Ausmaßen weder 1951 noch 1967 absehen ließ und das immer gravierender wird, z. B. durch die Verdoppelung der Bevölkerung Afrikas bis 2050. Das Völkerrecht hält Instrumente zur Lösung bereit. So endet die Verbindlichkeit jedes Vertrags, wenn sich die beim Abschluss gegebenen Umstände mittlerweile grundlegend geändert haben. Überdies ist nicht alles, was möglich ist, auch zumutbar. In Amerika vertritt die angesehene soziologische Rechtsschule, dass Rechte und Pflichten durch vernünftige Erwartungen („reasonable expectations“) der Parteien untereinander begründet werden. Und „zumutbar“ wird ja auch mit „what can reasonably be expected“ übersetzt.

Im Völkerrecht spielt die Zumutbarkeit bei der Bestimmung, wann eine verpflichtungsbefreiende Unmöglichkeit vorliegt, eine entscheidende Rolle. Wer die Unmöglichkeit wörtlich nimmt, wird ein Boot erst dann für voll erklären, wenn das Wasser schon fast hineinschwappt. Wer die Unzumutbarkeit als moralische Unmöglichkeit sieht, wird es niemandem zumuten, sich in ein Boot zu setzen, das bei der geringsten zusätzlichen Belastung sinken kann. Die Unzumutbarkeit stellt also gefährliche Risiken mit in Rechnung. Der Bootvergleich zeigt auch, dass es auf die Befindlichkeit der Betroffenen ankommt. Ist es zumutbar, dass man sich in bestimmten Wiener Stadtteilen oder Öffis wie ein „Fremder im eigenen Land“ vorkommt? Nicht einmal der Vorwurf mangelnder Political Correctness kann da etwas ändern.

Auch Risiken, die erst in der Zukunft schlagend werden (können), sind zu beachten. Ein solches kann eine Parallelgesellschaft sein, die heute noch in der Minderheit ist, aber in ein oder zwei Generationen zur Mehrheit werden kann. Wenn in einer solchen Gesellschaft Werte wie die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Gleichheit von Frau und Mann bedroht erscheinen, wird das der österreichische Bürger zu Recht für unzumutbar halten und von der Politik erwarten, die Gefahr rechtzeitig zu bannen.

Der Völkerrechtler kann sagen, unter welchen Umständen der Punkt der Unzumutbarkeit erreicht erscheint. Die Politik muss entscheiden, welche Konsequenzen sie daraus zieht. Der besorgte Bürger darf aber meinen, dass etwas getan werden muss.

Der Autor:

Heribert Franz Köck (* 1941) ist emer. Universitätsprofessor mit den Schwerpunkten Völker- und Europarecht.

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