Gastkommentar

Friedrich Gulda, genialer musikalischer Grenzgänger

(c) Peter Kufner
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Internationaler Tag des Jazz. Neben seiner Klassikkarriere blieb der vor 24 Jahren verstorbene Gulda stets dem Jazz treu.

Im Alter von 16 Jahren gewann der Wiener Friedrich Gulda (1930–2000) im Jahr 1946 als Klassik-Pianist den Internationalen Genfer Musikwettbewerb. Das war für den Schüler von Bruno Seidlhofer und Joseph Marx der Start zu einer Weltkarriere. Seine Mozart- und Beethoven-Interpretationen machten Furore. Damals in der Schweiz, die von Nazi-Okkupation und Zweitem Weltkrieg verschont geblieben war und in der es eine aufgeschlossene Kulturszene gab, machte der junge Gulda Bekanntschaft mit dem Jazz, einer für ihn aufregend neuen Musik, die ihn sofort faszinierte.

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Nach ersten musikalischen Gehversuchen im Jazz in Wien konnte er bereits 1951 in Chicago mit dem gefeierten Trompeter und Innovator des neuen Stils Bebop, Dizzy Gillespie, und dem Vibraphonisten Milt Jackson musizieren. Und dann der Durchbruch im Juni 1956 im New Yorker Jazzclub Birdland, wo Friedrich Gulda für zwei Wochen engagiert war und mit einem hochkarätigen Sextett, dem u. a. der Posaunist James Cleveland und der Altsaxophonist Phil Woods angehörten, das Publikum und die anwesenden Kritiker begeisterte. Später erinnerte sich Gulda, der sechs Jahre zuvor sein Debüt als Klassik-Pianist in der Carnegie Hall gegeben hatte: „Da bin ich gestanden am Flughafen von Buenos Aires und hab’ zwei Verpflichtungen gehabt. Die eine war ein Meisterkurs am Mozarteum in Salzburg und die andere ein Engagement im Birdland in New York. Tollkühn bin ich einfach ins Birdland gegangen, obwohl ich mich immer noch als Anfänger fühlte. Es ist wurscht, man muss sich einmal trauen. Ich hab’ dort Jazz gespielt, obwohl ich wusste, gestern spielte der Charlie Parker und morgen spielt der Dizzy Gilles­pie. Das war eine Mutprobe. Die habe ich bestanden und darauf bin ich stolz. Es war sozusagen meine Gesellenprüfung.“ Unmittelbar nach dem Birdland-Gastspiel trat Gulda im Juli 1956 auch noch beim Newport Jazz Festival auf.

Neben seiner Klassik-Karriere blieb Friedrich Gulda dem Jazz treu und ging z. B. 1964 auf eine Südamerika-Tournee, bei der er jeweils im ersten Teil der Konzerte solo Klassik spielte und nach der Pause mit den US-Jazzgranden Ron Carter (Bass) und Albert Heath (Schlagzeug) Standards und eigene Kompositionen aufführte. Ich selbst erinnere mich gut an ein solches Trio-Konzert als Sonntagsmatinee im Theater an der Wien in den 1960er-Jahren.

Zwei Welten zusammenbringen

Das war die Zeit, in der am 4. Jänner 1965 Guldas „Music For Piano And Band Nr. 2“ in Los Angeles unter Leitung des Bandleaders Stan Kenton, dem Meister des „progressive jazz“, aufgeführt wurde. Im selben Jahr fanden in Wien Plattenaufnahmen mit dem Eurojazz-Orchester, einer Gründung von Friedrich Gulda, unter Mitwirkung internationaler Stars wie Freddie Hubbard (Trompete), Jay Jay Johnson (Posaune), Ron Carter (Bass) und Mel Lewis (Schlagzeug) statt. Eingespielt wurde Guldas „Concerto a Quattro“ in drei Sätzen. Mit seinem Eurojazz-Orchester wollte Friedrich Gulda zwei Welten zusammenbringen: die der europäischen Musiktradition mit jener des amerikanischen Jazz.

Der Zuspruch war groß, die Kritiken, insbesondere was Guldas eigene Kompositionen betraf, waren geteilt. Selbst miterlebt habe ich das Festkonzert des Eurojazz-Orchesters beim Internationalen Wettbewerb für Modernen Jazz im Rahmen der Wiener Festwochen am 27. Mai 1966 im Großen Saal des Wiener Konzerthauses unter Mitwirkung prominenter Jurymitglieder wie Jay Jay Johnson, Julian „Cannonball“ Adderley, Art Farmer, Ron Carter, Mel Lewis und Joe Zawinul. Mit seinem alten Spezi Zawinul hat Gulda später immer wieder gemeinsame Konzerte gegeben – wie übrigens auch mit den amerikanischen Jazz-Pianisten Herbie Hancock und Chick Corea. Diese und viele andere Jazz­events wurden vom Fernsehen aufgezeichnet und schlummern im ORF-Archiv. Es ist hoch an der Zeit, sie einem neuen Publikum im Kultursender ORF III zu präsentieren.

In den USA, wo der Jazz entstanden ist, wurde Gulda viel früher und viel enthusiastischer als Jazzmusiker, der übrigens auch Baritonsaxophon spielte, anerkannt als in seiner österreichischen Heimat. Hierzulande wurde der Jazz lange als Unterhaltungsmusik angesehen, der man in der Welt der Klassik die Ernsthaftigkeit absprach und sich erst daran gewöhnen musste, dass ein Virtuose wie Gulda sich diesem Genre widmete. Das Publikum, das seine Klassik-Interpretationen geradezu frenetisch feierte, stand den Jazzambitionen des Meisters reserviert gegenüber. Und auch in der Jazzwelt hatten manche Vorbehalte. Einige Musiker sahen in Friedrich Gulda nicht „einen der ihren“ und der bekannte deutsche Fachpublizist Joachim-Ernst Berendt sagte, er liebe Keith Jarrett, von dem es Bach-Interpretationen gibt, „wenn er Jazz spielt“, und Friedrich Gulda, „wenn er nicht Jazz spielt“. Beide waren unbestritten große Pianisten und beide waren eben auch musikalische Grenzgänger.

In einem Vortrag beim Ersten Musikforum Ossiach 1968 fragte Gulda hinsichtlich unserer abendländischen Musiktradition: „Worauf bilden wir uns denn eigentlich so viel ein?“ Er sprach vom „Hochmut der Europäer“ und setzte fort: „Wir sind stolz, was sich seit 2000 Jah­ren – angefangen wahrscheinlich bei den alten Griechen – mit unserer abendländischen Geisteshaltung entwickelt hat, aber es liegt darin die große Gefahr, alles andere als minderwertig abzutun. Das drückt sich nicht nur im Verhältnis zur Jazzmusik oder zur Flamencomusik aus, sondern das drückt sich auch in unserer eigenen Musikgeschichte aus, dass man die vielleicht viel bessere Musik der Spielleute nicht einmal für würdig befunden hat aufzuschreiben.“ Gulda, der Rebell, stellte sich dem etablierten klassischen Konzertbetrieb mit seinen Traditionen und Konventionen entgegen. In seiner Tätigkeit sowohl als Komponist wie als Pianist war er seiner Zeit voraus, scheute kein Risiko und eckte an. In der Programmierung seiner Konzerte brach er die Grenzen zwischen Klassik, Jazz, Volksmusik und Pop, zwischen E- und U-Musik, zwischen europäischer Tradition und Einflüssen aus anderen Kulturkreisen auf. Lange bevor der Begriff „Weltmusik“ aufkam, schrieb und spielte Gulda Weltmusik.

Gulda, der Rebell

Er war ein Suchender, der sich im Trio mit Paul und Limpe Fuchs der freien Klangschöpfung hingab, im Duo mit Sängerin und Perkussionistin Ursula Anders frei improvisierte Musik darbot und in den 1990er-Jahren in Discomanier „Paradise Dance Partys“ feierte, womit übrigens sowohl Klassik- wie Jazzfreunde nichts anzufangen wussten. Am Jazz liebte Gulda, der Hochbegabte, vor allem die Improvisation, seinen großen Pianisten-Kollegen dieses Genres aus Kanada, Oscar Peterson, bewunderte er. Er selbst befand, seine Beschäftigung mit Jazz habe ihn auch als Klassik-Interpreten bereichert. Manche Kritiker urteilten sogar, dass Guldas Mozart nun plötzlich „swinge“. Apropos Kritiker: Negative Urteile über seine Musik veranlassten Gulda, den Unverstandenen, zu regelrechten Pressekriegen. Seine Ausfälle gegen den Journalisten Franz Endler waren legendär.

Es gibt einige große Jazzmusiker wie Benny Goodman oder Wynton Marsalis, die sich auch als Klassik-Interpreten einen Namen gemacht haben. Aber es gibt nur sehr wenige Klassikstars, die in der Welt des Jazz reüssiert haben. André Previn war so einer – und unser Friedrich Gulda.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Johannes Kunz (* 1947 in Wien), arbeitete beim Hörfunk des ORF, ehe er von 1973 bis 1980 als Pressesprecher von Bruno Kreisky ins Bundeskanzleramt wechselte. 1982 Rückkehr in den ORF, wo er von 1986 bis 1994 als Informationsintendant amtierte. Autor mehrerer Bücher zu politischen Themen und Jazzmusik.

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