Durch die leichte Rhythmusverschiebung hat auch in der gemeinsam gelebten Freizeit jeder seinen Raum für sich, und ich vermute, dass dies für das Zusammensein sehr gesund ist. 
Spectrum

Lesen Sie diesen Text, und werden Sie zum Frühaufsteher

Das frühe Aufstehen hat mir so viele Vorteile verschafft, dass ich nie wieder darauf verzichten will. Zum Beispiel im Hotel das Frühstücksbuffet für mich allein zu haben und in aller Ruhe am besten Tisch essen zu können.

Es gibt eine Horrorvision, die für manche Menschen vielleicht banal klingt – und eventuell sogar Alltag ist –, ich aber unter keinen Umständen je in der Realität erleben möchte: morgens aufwachen und mich beeilen müssen. Mich verfolgt die dunkle Ahnung, dass ein Tag unrettbar verloren wäre, wenn er bereits mit einem hohen Adrenalinpegel begänne, ich mich gestresst anziehen, eilig Kaffee hinunterstürzen und in letzter Sekunde zur U-Bahn hetzen müsste. Der Gedanke, nachher schlecht frisiert, mit leerem Magen oder nicht zusammenpassenden Socken im Büro zu sitzen, jagt mir Schauer über den Rücken, weil ich genau weiß, dass ich mich in so einem Fall nicht richtig auf meine Arbeit konzentrieren könnte und nicht besonders leistungsfähig wäre. Das Gefühl, nicht ausreichend für mich gesorgt zu haben, an irgendeiner Art von „Mangel“ zu leiden oder „nicht in Ordnung“ zu sein, würde mich den ganzen Tag über ablenken und ­belasten.

Somit war es im Grunde eine Sehnsucht nach innerer Ruhe und Konzentration, die vor vielen Jahren dazu geführt hat, dass ich mich selbst zur Frühaufsteherin erzogen habe. Morgens bin ich am produktivsten und kann am klarsten denken, ich bin am meisten bei mir – fast noch in der Nähe des Traums, also in einer kostbar starken Verbindung zu meinem Inneren und Unbewussten – und noch nicht zu sehr von den Ereignissen des Tages durcheinandergewirbelt worden. Die zwei wertvollen Stunden, bevor ich ins Büro fahre, also die Zeit zwischen sechs und acht Uhr, nütze ich überwiegend zum Schreiben, etwa um Rezensionen oder den neuesten „Spectrum“-Essay fertigzustellen. Auch bürokratische Angelegenheiten erledige ich am liebsten in der Früh. Wenn ich ausnahmsweise einmal keine drückende Deadline habe, stehe ich trotzdem genauso früh auf und bin dankbar, mir auch unter der Woche den Luxus eines Sonntagsfrühstücks zu gönnen, Radio zu hören oder zu lesen, ehe ich in die Arbeit fahren muss. Stressige Tage im Büro sind für mich leichter zu verkraften, wenn ich weiß, dass ich dennoch ausreichend Zeit für Schönes hatte und habe, wie etwa das Lesen von Romanen.

Eine der Ersten im Museum

Das frühe Aufstehen hat mir im Laufe der Jahre so viele Vorteile verschafft, dass ich nie wieder darauf verzichten wollte. Zum Beispiel morgens im Hotel das gesamte Frühstücksbuffet für mich allein zu haben und in aller Ruhe am besten Tisch des Raums Semmeln essen zu können, auf die noch niemand gehustet hat. Später eine der Ersten im Museum zu sein und die Kunstwerke in würdevoller Stille genießen zu können, bevor die Touristenmassen einfallen. Während des Doktorats, als ich noch häufig zu akademischen Konferenzen im Ausland fuhr, war es mein Lieblingsritual, vor Beginn des täglichen Programms jeweils eine gute Stunde durch die Stadt zu spazieren und die neue Umgebung kennenzulernen. Andere Konferenzteilnehmer ließen Programmpunkte ausfallen, um während der drei oder vier Tage Aufenthalt wenigstens ein bisschen Sightseeing machen zu können. Ich hatte das nie nötig.

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