In TV-Berichten war überraschenderweise eine Anti-Gebühren-Kundgebung von Venezianern zu sehen, die nicht wie Tiere im Zoo ausgestellt werden wollen.
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Wenigstens gibt es in Venedig keine Segways

Overtourism wird definiert als „zu viele Menschen zur gleichen Zeit am selben Ort“. Es ist noch nicht zu spät, über Gegenmaßnahmen nachzudenken.

In Gedanken versunken gehe ich durch die Kärntner Straße, plötzlich Zusammenstoßgefahr mit einer Gruppe von Wien­besuchern. Es könnten auch Innenstadttouristen aus einem Außenbezirk sein. Wenigstens keine Segway-Kolonne. Ein kurzer Anflug von Klaustrophobie. Als Beleg dafür, dass Touristenströme Wien verstopfen, taugt das nicht. Schnell ist bei derartigen Situationen das Alarmwort Overtourism zur Stelle, obwohl auch in Wien die Bevölkerung längst gelernt hat, eigene Wege durch die punktuell überlastete Innenstadt zu nehmen.

Overtourism, definierbar als „zu viele Menschen zur gleichen Zeit am selben Ort“, ist eine „Entgrenzung des Tourismus“, wie Isolde Charim das nannte. Reisen steht bei der Umweltbelastung ganz weit oben. Doch Über­tourismus ist nicht unumkehrbar wie das Schmelzen der Gletscher, es lohnt sich noch, über Gegenmaßnahmen nachzudenken. Von 1950 bis 2000, als immer mehr Menschen mit dem eigenem Auto oder per Charterflugzeug reisen konnten, sind die Ankünfte weltweit von 25 auf 674 Millionen angestiegen. Von 2000 bis 2019 ging es noch rasanter nach oben, nämlich auf rund 1,4 Milliarden.

2024 soll ein neues Rekordjahr werden, sogar „die Chinesen kehren zurück“, wie eine Wiener Zeitung titelte. Für Hallstatt etwa eine ambivalente Aussicht, für die großen Wiener Hotels eine herbeigesehnte. Fast überall auf der Welt liegen die Übernachtungen bereits über Vor-Corona-Niveau. Der „Lonely Planet“ empfahl für 2024 als Top-Ziele Madagaskar, Albanien und die Mongolei. Länder also, die sich vom Wirtschaftsfaktor Tourismus viel erhoffen. Man könnte auch sagen: Sie gehören zu den „rising stars“ unter den Reisezielen.

Ein Indiz für die wieder erwachte Reiselust war die auffallend intensive Werbung für Kreuzfahrten im vergangenen Herbst. Man darf also erwarten, dass damit die Wut auf „Tourismushorden“ noch lauter wird. Andererseits handelt es sich beim Reisen um die wichtigste Industrie dieses Jahrhunderts. Der Fremdenverkehr spielt fast zehn Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts ein und bringt Menschen in wirtschaftlich schwachen Ländern Arbeitsplätze und Aufstiegschancen.

Es warten keine Drehkreuze

Nach jahrelangem Hin und Her müssen Tagesbesucher von Venedig seit April Eintrittsgebühren zahlen. Im vergangenen Sommer war noch ein ganzjähriges Betretungsverbot angekündigt gewesen, Ende des Jahres ruderte man zurück. Vorerst gilt die Regelung an 29 Testtagen und phasenweise an Wochenenden. Ausnahmen gibt es reichlich. Zu entrichten sind fünf Euro, für die Kommune kommt dennoch ein erklecklicher Beitrag zur Müllbeseitigung zusammen.  

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