Gastkommentar

Es braucht eine inklusive Gesundheitsversorgung

Tag der Inklusion. Meine Erfahrungen als Mensch mit Behinderung im österreichischen Gesundheitssystem, in Einfacher Sprache.

Ich bin Selbst-Vertreterin. Das heißt, ich bin ein Mensch mit einer intellektuellen Behinderung, und ich trete für mehr Mitsprache und Selbstbestimmung ein. Das mache ich nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Menschen mit intellektuellen Behinderungen in Österreich. In diesem Beitrag zum gestrigen Tag der Inklusion am 5. Mai möchte ich meine Erfahrungen, die ich als Mensch mit Behinderung mit dem österreichischen Gesundheitssystem gemacht habe, in Einfacher Sprache teilen.

Ich bin in Mühlbach am Hochkönig in Salzburg aufgewachsen. Schon seit meiner Kindheit kämpfe ich mit schweren Krankheiten und war mit vielen gesundheitlichen Herausforderungen konfrontiert. Meine Krankengeschichte hat schon sehr früh begonnen. Auch mein Schulbesuch und das spätere Arbeitsleben wurden durch meine vielen Krankheiten beeinflusst. Aufgrund einer schweren Krankheit musste ich bald nach der 1. Klasse Hauptschule die reguläre Schule verlassen. Ich kam in eine Sonderschule. Meine Lehrerinnen haben einfach entschieden, dass ich die normale Schule sowieso nicht schaffe.

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Nachfragen und einfordern

Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Trotzdem war schnell klar, dass ein „normaler“ Arbeitsplatz wegen meiner vielen Krankenstände für mich nicht infrage kommt. Deshalb bin ich zur Lebenshilfe nach Salzburg gekommen. Ich habe dort nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch ein neues Zuhause gefunden. Ich lebe in Salzburg in einer eigenen Wohnung. Drei Mal pro Woche kommt eine Betreuerin vorbei. Wenn es notwendig ist, unterstützt sie mich in meinem Alltag.

Während meiner langen Krankengeschichte habe ich mit verschiedenen Krankheiten gekämpft und hatte mit vielen Ärzten zu tun. Ich bin zuckerkrank und mehrmals an verschiedenen Krebsarten erkrankt. Gott sei Dank ist bisher immer alles gut ausgegangen. Besonders wichtig war mir immer, dass die Ärzte und Ärztinnen mir medizinische Informationen wie Befunde und die weitere Behandlung in Einfache Sprache übersetzen und erklären. Die Fachsprache von Medizinern ist für Menschen mit intellektuellen Behinderungen oft sehr schwer zu verstehen. Die Ärzte haben mir aber nicht von sich aus in einfachen Worten meine Krankheiten und Befunde erklärt. Meistens musste ich nachfragen und das einfordern.

Befunde verstehen

Die gleichen Erfahrungen, die ich mit Ärzten und in Krankenhäusern gemacht habe, machen auch viele andere Menschen mit intellektuellen Behinderungen. Sie verstehen ihre eigenen Krankheiten, die Befunde und die Behandlungs-Methoden nicht.

Wir Menschen mit intellektuellen Behinderungen fordern deshalb vom Gesundheitswesen eine Sprache, die auch wir verstehen. Es ist wichtig, dass wir die Bedeutung unseres Befunds selbst verstehen. Wir wollen über die weitere Behandlung und die Folgen dieser Behandlung Bescheid wissen. Medizinisches Fachpersonal muss sich die Zeit nehmen, wichtige medizinische Infos in Einfacher Sprache zu erklären. Ich glaube, darüber wären auch manche Menschen ohne Behinderungen, vor allem ältere Menschen, froh. Warum ist es noch immer nicht Teil der Ausbildung von Ärzten und Ärztinnen, zu lernen, in Einfacher Sprache zu sprechen? Das wäre mindestens genauso wichtig wie fachliches Wissen und sollte ein fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung sein.

Neben einer einfachen und verständlichen Sprache fordern wir Menschen mit Behinderungen auch, dass wir schnell Termine bei Kassenärzten und in Spitälern bekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Es fehlt an Kassenordinationen, vor allem auf dem Land. Das wiederum führt zu langen Wartezeiten. Für die Untersuchung und Behandlung bleibt dann oft nicht viel Zeit. Dabei wäre es so wichtig, dass sich Ärzte genügend Zeit für Untersuchungen und Behandlungen von Menschen mit intellektuellen Behinderungen nehmen können. Oft haben Menschen mit Behinderungen Angst vor dem Befund oder der Behandlung beim Arzt. Wenn sich die Ärzte aber Zeit für die Patienten und Patientinnen nehmen können, könnten Ängste abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden.

Die Möglichkeit, auf Wahlärzte auszuweichen, um schneller einen Termin zu bekommen, können sich viele Menschen mit Behinderungen nicht leisten.

Eine weitere Forderung von mir als Betroffener ist ein wirklich barrierefreier Zugang zu Arztpraxen. Arztpraxen müssen für alle Menschen barrierefrei erreichbar sein. Auch für Menschen, die im Rollstuhl sitzen.

Frustrierend und verwirrend

Zum Thema Barrierefreiheit möchte ich noch die Notwendigkeit von barrierefreien Einrichtungen und Informationen in Krankenhäusern erwähnen. Wegbeschreibungen zum Beispiel in Krankenhäusern verstehe ich oft nicht. Ich tue mir auch schwer, sie zu lesen, weil die Beschriftungen zu klein sind. Das ist frustrierend und verwirrend und führt zu noch mehr Stress in einer sowieso stressigen Situation wie einem Krankenhaustermin.

Ich wünsche mir ein Gesundheitssystem in Österreich, in dem Menschen mit oder ohne Behinderungen schnell, leistbar und barrierefrei die beste medizinische Versorgung bekommen. Dafür müssen wir aber alle zusammenarbeiten. Die Politik, Ärztinnen und Ärzte, das gesamte medizinische Personal und die Gemeinschaft müssen sich gemeinsam dafür einsetzen. Nur dann werden wir, Menschen mit intellektuellen Behinderungen, in unserem Gesundheitssystem nicht mehr benachteiligt. Nur dann bekommen wir in Österreich eine inklusive Gesundheitsversorgung für alle!

Brigitte Brandner ist Mitglied des Selbstvertretungsbeirats der Lebenshilfe Österreich und Klientin der Lebenshilfe Salzburg.

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