Gastkommentar

Festwochen: Israel wird zum Land der Täter erklärt

Auf dem Wiener Judenplatz wird Omri Boehm heute seine „Rede an Europa“ halten.
Auf dem Wiener Judenplatz wird Omri Boehm heute seine „Rede an Europa“ halten.Getty Images/Alexander Klein
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Omri Boehm, der am Dienstag am Judenplatz die „Rede an Europa“ hält, erzählt eine verzerrende Geschichte des Nahostkonflikts.

Unter der Intendanz von Milo Rau stellen die Wiener Festwochen unter Beweis, dass auch im österreichischen Kulturbetrieb Israel-Feindschaft zum guten Ton gehört. Für Kritik sorgten schon vor Wochen einige jener 20 internationalen Künstler, Aktivisten und Intellektuellen, die in einen „Rat der Republik“ berufen wurden. Zu ihnen gehört beispielsweise der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der seit Jahrzehnten als antiwestlicher Agitator umherzieht und dessen moralisches wie politisches Koordinatensystem dermaßen derangiert ist, dass er sich einst (zusammen mit einem französischen Holocaustleugner) einen ausgerechnet nach Muammar al-Gaddafi benannten Menschenrechtspreis überreichen ließ – was er im Nachhinein stets bestritt, bis ihn eine Videoaufnahme der Zeremonie der glatten Lüge überführte.

Auf Widerspruch stießen aber vor allem zwei andere Personen: der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Und wie so oft bei Skandalen im zeitgenössischen Kulturbetrieb (Documenta, Berlinale, Viennale usw.) geht es um Israel. Ernaux ist eine Unterstützerin der Israel-Boykott-Bewegung BDS, Varoufakis wird wegen seiner Haltung zur Hamas nach dem Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 kritisiert, die ihm jüngst ein Einreiseverbot nach Deutschland eingebracht hat.

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Intendant Milo Rau rückte mehrfach aus, um die von ihm geschätzten Personen in Schutz zu nehmen. So in einem Gastkommentar im „Kurier“, in dem er erklärte, Varoufakis habe die islamistische Terrorgruppe Hamas „klar und explizit verurteilt“.

Das ist ganz einfach falsch: Tatsächlich hat Varoufakis in der von Rau angesprochenen Rede nur allgemein „jede Gräueltat“ verurteilt, um im Anschluss daran blutigen Terror gegen Israel als „bewaffneten Widerstand gegen ein Apartheidsystem“ zu legitimieren und Israel die Schuld dafür zu geben, dass Israelis bestialisch ermordet werden.

Von einer „klaren und expliziten“ Verurteilung der Hamas kann keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Nach dem Massaker am 7. Oktober hatte Varoufakis sich nicht nur nicht von der Hamas distanziert, sondern ausdrücklich festgehalten, dass er diese „niemals verurteilen“ werde.

Kein Verbot von Israel-Kritik

Und auch um die Verteidigung von Ernaux’ Boykottaufrufen gegen Israel ist es nicht besser bestellt. Mit Blick auf Österreich und Deutschland behauptete Rau, „Kritik an der Politik Israels … ist in beiden Ländern per Parlamentsbeschluss verboten.“

Auch das ist nachweislich die Unwahrheit: Der deutsche Bundestag und der österreichische Nationalrat haben zwar die Israel-Boykott-Bewegung BDS – völlig zu Recht – als antisemitisch eingestuft und dazu aufgerufen, ihr keine staatlichen Mittel zukommen zu lassen, aber selbstverständlich gibt es kein Verbot von Kritik an der Politik Israels.

Was es im Gegensatz zu diesem Unsinn aber sehr wohl gibt, ist die Mär von einem angeblichen Kritik-Tabu oder Kritik-Verbot am jüdischen Staat, dem in Wahrheit meistkritisierten Staat der Welt. Das ist der üblicherweise von Israel-Feinden unternommene Versuch, ungeheuerliche Diffamierungen Israels gegen Kritik zu immunisieren und sich selbst als Opfer angeblicher Unterdrückung zu stilisieren. Wem die Macht angedichtet wird, solch ein herbeifantasiertes Tabu bzw. Verbot durchsetzen zu können, möchte man lieber nicht wissen, auch wenn man es sich denken kann.

Auch Wiens Kulturstadträtin, Veronica Kaup-Hasler, warf sich zur Verteidigung der Festwochen ins Zeug. Gerade jetzt seien der „Austausch von unterschiedlichen Positionen“ sowie von „Demokratie- und Meinungsfreiheit“ von besonderer Bedeutung, müsse das „demokratische Gespräch aufrechterhalten“ werden. Dass Kaup-Hasler unter dem Schlagwort Meinungsfreiheit ausgerechnet Israel-Boykotteure wie Ernaux einbinden will, die eine ganze Gruppe von Menschen allein wegen ihrer Nationalität diskriminieren, offenbart ein seltsames Verständnis von Offenheit. Wie war das noch einmal mit Karl Poppers Warnung vor der Toleranz gegenüber der Intoleranz?

Auftritt Omri Boehm

Eine Art von Israelis gibt es immerhin, die im Kunstbetrieb, und damit auch bei den Wiener Festwochen, wohlgelitten sind: solche nämlich, die in die Verdammung des jüdischen Staates einstimmen und den „Israel-Kritikern“, Terror-Apologeten und Boykott-Befürwortern genau das erzählen, was sie hören wollen. So jemand also wie der Philosoph Omri Boehm, der am Dienstag im Rahmen der Festwochen eine „Rede an Europa“ halten wird.

Boehm bringt alles mit, dessen es bedarf, um die Rolle des Kronzeugen bestens auszufüllen: Als „israelischer Jude“, wie Intendant Milo Rau betont, hat er seine ­„Israel-Kritik“ in Buchlänge ausgewälzt („Israel – eine Utopie“). Herausgekommen ist dabei ein typisches Beispiel für die „alternativen Fakten“, die unter Israel-Feinden gang und gäbe sind.

In Boehms Darstellung des palästinensisch-israelischen Konflikts tritt die arabische Seite als Opfer in Erscheinung, die Israelis dagegen fast durchgängig als Täter. Die arabischen Kriege gegen Israel, der arabische/islamische Antisemitismus, der jahrzehntelange palästinensische Terror gegen Israel, all das spielt für Boehm keine Rolle, der ganze Konflikt mutiert bei ihm zu einer Abfolge bösartiger israelischer Machenschaften gegen ganz und gar unschuldige und für nichts verantwortliche Palästinenser. Um eine derartig einseitige und verzerrende Geschichte erzählen zu können, bedient er sich einer Vielzahl von Manipulationen, Auslassungen und Umschreibungen der Geschichte.

„Holocaust-Messianismus“

Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm dabei das Gedenken an den Holocaust. Dass Juden aus der systematischen Massenvernichtung den Schluss gezogen haben, einen eigenen Staat zu brauchen, der sie vor mörderischem Antisemitismus schützen kann, ist für Boehm geradezu die Wurzel allen Übels, Grundlage eines „angstbasierten mythologischen Holocaust-Messianismus“, als den er den Zionismus diffamiert.

Israel dürfte es Boehm zufolge jedenfalls gar nicht geben, zumindest nicht, solange es sich als Nationalstaat des jüdischen Volkes versteht. Genau das macht Boehm für Israel-Feinde und Boykottbefürworter so interessant: Ein Israeli, der behauptet, Israel sei ein Land der Täter und müsse „überwunden“, also beseitigt, werden, und statt über den Holocaust müsse viel mehr über den Kolonialismus geredet werden, was können sie sich Besseres wünschen?

Nur wenige Monate nach dem größten Massaker an Juden seit dem Ende der Shoah, inmitten einer erschreckenden Welle des Antisemitismus, in der Israel-Hasser weltweit für die Vernichtung Israels auf die Straße gehen, lassen die Wiener Festwochen am Judenplatz, an dem der Auslöschung der Wiener jüdischen Gemeinde im 15. Jahrhundert und der Opfer des Holocaust gedacht wird, jemanden eine Festrede halten, der gegen das Holocaust-Gedenken wettert und Israel beseitigen will. Mit dieser Art Offenheit stellen sie die Richtigkeit des Bonmots unter Beweis: Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht.

Omri Boehm hält am Dienstag, den 7. Mai um 19 Uhr eine „Rede auf Europa“ auf dem Wiener Judenplatz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Beigestellt

Florian Markl (*1975) ist wissenschaftlicher Leiter des Wiener Nahost-Thinktanks Mena-Watch und u. a. Co-Autor des Buches „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“ (Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2020).

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