Gastkommentar

Nie wieder ist jetzt, auch an Wiener Schulen

Toleranz ist sicher kein Blankoscheck für Judenhass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.

Jedes Spiel bedarf eines Regelwerks: Züge, die erlaubt und nicht erlaubt sind. Auch das Spiel Gesellschaft funktioniert nicht, ohne dass alle Spieler und Spielerinnen die Regeln einhalten. Doch wie sollen wir mit jenen umgehen, die die Spielregeln von Grund auf ablehnen, die vielleicht sogar das ganze Spiel neu definieren, den Judenhass gar wieder zur Spielregel machen möchten?

In meinen frühen Studienjahren war ich vom Traum einer universaltoleranten und utopischen Gesellschaft fasziniert. Oder in den Worten der Musikerin Soffie ausgedrückt: „Ich hab’ neulich geträumt von einem Land, in dem für immer Frühling ist; hier gibt es Kaviar und Hummer im Überfluss; keiner hier, der hungert, und niemandem ist kalt; Vanilleeis zum Nachtisch, alle sterben alt.“

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Ich halte daran fest: Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben in Freiheit und Sicherheit. Aber: Es braucht Regeln. Ohne das Einfordern von Regeln und die transparente Formulierung und Durchsetzung von Konsequenzen für Regelbrüche nimmt kaum jemand den Begriff der Toleranz ernst. Vielleicht liegt es aber auch an einem Missverständnis zur Frage, was wir als Gesellschaft unter Toleranz verstehen.

Antisemitische Vorfälle nehmen zu

Toleranz ist sicher kein Blankoscheck für Judenhass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, der sich, hinterhältig als Israel-Kritik getarnt, in zahlreichen Klassenzimmern Wiens immer weiter verfestigt. Auch an einem größeren Gymnasium in Wien nahmen die antisemitischen Vorfälle seit dem Hamas-Terror immer größere und unerträglichere Ausmaße an. Auf Tischen, Wänden, am Gang, den Toiletten und im Unterricht bekannten sich immer mehr Pro-Palästina-Aktivisten zu einem aggressiven Antisemitismus als Drehscheibe ihres Weltverständnisses. Ist es ihnen zu verübeln, dass sie dieses Gedankengut als salonfähig betrachten? Dass sie nicht verstehen wollen, dass Vernichtungsfantasien zu Israel und zum gesamten jüdischen Leben im Nahen Osten eine „Gutheißung terroristischer Straftaten“ darstellen, wie es § 282a StGB eigentlich normiert? Wenn ein Lehrer der Schule ein Buch mit Wilhelm Langthaler, dem Mastermind von Palästina Solidarität Österreich, veröffentlicht hat, der Israel als „Kolonialgewalt“ beschreibt, nicht die Hamas, sondern die israelische Armee als „Terroristen“ verunglimpft und, obwohl er nicht das Unwort von der „jüdischen Weltverschwörung“ in den Mund nehmen möchte, dafür aber die „amerikanische Vorherrschaft“ anprangert, dann ist es wenig verwunderlich, dass sich nach dem Hamas-Terror nicht Betroffenheit, sondern Freude in der Aula ausgebreitet hat. Oder in den Worten einer Schülerin: „Eigentlich sind die Juden ja selber schuld, dass denen das passiert ist.“ Die Haltung der Schule wirkt weder auf Außenstehende noch auf mich definierbar, da es noch keine öffentlichen Äußerungen der Schulleitung zu diesen menschenfeindlichen Einstellungen gab.

Karl Popper hatte recht mit seiner Feststellung: „Wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ Dazu gehört auch, dass wir uns im Bildungssystem eines westlichen demokratischen Rechtsstaats zum Existenzrecht der einzigen Demokratie im Nahen Osten bekennen.

Daniel Green ist Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Rechtslinguistik. Er studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Rechtswissenschaften.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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