Gastkommentar

Was treibt den weltweiten Goldrausch an?

Nicht alles, was Gold ist, glänzt.
Nicht alles, was Gold ist, glänzt. MediaNews Group/David Goldman
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Es ist ein Irrglaube, dass der Goldpreis einzigartig stabil ist. Im Gegenteil: Er ist wie ein Fieberthermometer der Weltwirtschaft.

Gold ist zurück im internationalen Währungssystem. Vor mehr als 50 Jahren hatte US-Präsident Richard Nixon „das Goldfenster geschlossen“ (die Möglichkeit, Dollars zu einem festen Wechselkurs in Gold umzutauschen, beendet). Damit ging auch die weltweite Besessenheit mit Edelmetallen zu Ende. Eine neue Ära der Fiatwährungen hatte begonnen.

Nun jedoch wird das Fiatgeld durch Sorgen um die Staatshaushalte und neue Technologien (Blockchains/Distributed Ledgers) infrage gestellt, und der Goldpreis ist auf bisher unerreichte Höhen von mehr als 2400 Dollar pro Feinunze gestiegen.

Goldfans argumentieren natürlich, dass das Metall eine ideale Kapitalanlage bleibt, um den Kapitalwert langfristig zu erhalten. Doch ist es ein Irrtum zu glauben, dass der Goldpreis in einzigartiger Weise stabil ist. Im Gegenteil: Seine Entwicklung bildet eine Fieberkurve der Missstimmungen ab, und die Preisspitzen markieren dabei einen Ansturm auf eine vermeintlich sichere Anlage in einer Welt, in der andere Vermögenswerte gefährdet sind. In den 1990er-Jahren, als das Ende des Kalten Krieges – und das „Ende der Geschichte“ – den Menschen ein neues Gefühl von Frieden und Stabilität vermittelten, fiel der Goldpreis. Zur Jahrtausendwende lag er bei unter 300 Dollar pro Feinunze, und sein Anstieg seit den 1970er-Jahren lag unter der Inflationsrate. Doch nach der Finanzkrise von 2008 und nach dem Beginn der Covid-Pandemie schoss der Preis jeweils steil in die Höhe, und in diesem Jahr tat er es erneut.

Nachfrage der Notenbanken

Die erhöhte Nachfrage nach Gold geht stark von den Notenbanken aus. China, das im Jahr 2000 nur über relativ geringe Goldreserven von 395 Tonnen verfügte, hat inzwischen 2260 Tonnen. Insbesondere in den Jahren 2009 und 2015 – von denen wir heute wissen, dass sie Wendejahre für eine zunehmend globalisierungsskeptische Welt waren – hat es seine Goldbestände deutlich erhöht. Auch Russland und die Türkei begannen nach 2015, ihre Kriegskassen aufzustocken, und derselbe Trend ist in jüngerer Zeit in der Europäischen Union erkennbar, wo die Tschechische Republik und Polen beide ihre Reserven aufgestockt haben.

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Im Kern der neuen Goldpolitik liegen Sicherheitsbedenken. Als die Tschechische Republik im März 1999 der Nato beitrat, verkaufte sie anschließend sofort fast ihre gesamten Goldbestände. Die Botschaft hätte nicht klarer sein können: Eine zuverlässige Sicherheitsgarantie machte eine Verteidigung der Währung unnötig. Doch im vierten Quartal 2023 kaufte die Tschechische Nationalbank 19 Tonnen Gold, und sie hat ihre Absicht si­gnalisiert, diese Zahl auf 100 Tonnen zu steigern. Die Botschaft diesmal ist genauso klar: Eine Nato-Mitgliedschaft allein reicht nicht aus. Und angesichts seiner größeren Nähe zu Russland hat auch Polen seine Motivationen deutlich gemacht, und zwar derart, dass im Gebäude der Notenbank gegenwärtig ein riesiges Plakat hängt, auf dem steht, dass die Notenbank 360 Tonnen Gold hält.

In Polen heißt es złoty

Die Verknüpfung des Goldes mit der Sicherheit hat in Polen tiefe historische Fundamente; sie war dort grundlegend für die ursprüngliche Idee der Eigenstaatlichkeit. Als Polen nach dem Ersten Weltkrieg – im Gefolge des Untergangs der österreichischen, deutschen und russischen Kaiserreiche – neu gegründet wurde, erhielt seine neue Währung als Namen das polnische Wort für „golden“ (złoty). Im September 1939 evakuierte Polen sein Gold dann in einer dramatischen Operation über Rumänien, die Türkei und den Libanon nach Frankreich. Dies sandte die Botschaft aus, dass Polen trotz des deutschen Einmarsches nach wie vor existierte.

Doch der bemerkenswerteste Einsatz des Goldes als Quelle der Stabilität war das sowjetische Experiment des Jahres 1922. Auf Drängen des prominentesten polnischen Führungsmitglieds der Bolschewiki – des Chefs der Geheimpolizei, Feliks Dzierżyński – gab der Staat zur Bekämpfung der Inflation die sogenannten Tscherwonzen („rotgoldenen“ Münzen) aus.

Als sich Anfang der 1870er-Jahre der Goldstandard als Grundlage der Währungsordnung etablierte, läutete dies ein neues internationales politisches System ein. Ein Land nach dem anderen – darunter die USA, Deutschland und Italien – war im Gefolge zerstörerischer Bürgerkriege bestrebt, seine Währung zu stabilisieren. Zur selben Zeit schwand nach der Niederlage Frankreichs im preußisch-französischen Krieg die Bedeutung des bisherigen Währungsstandards (Silber). Die Franzosen hatten zuvor ein Gold-und-Silber-Mischsystem genutzt, aber mussten nun die ihnen auferlegten teuren Kriegsreparationen in Silbermünzen begleichen. Der Markt wurde mit Silber überflutet, und der Silberpreis brach ein. Gold war das Einzige, was blieb.

Das Ende des parallelen silberbasierten Währungssystems in den 1870ern könnte ein Präzedenzfall für die Welt des Jahres 2024 sein. Schließlich wird derzeit allenthalben über eine bevorstehende Entthronung des Dollars spekuliert, die das moderne Äquivalent zur Demonetisierung von Silber wäre. Die US-Regierung fährt seit 2020 große Haushaltsdefizite, und man muss nun das Risiko in Betracht ziehen, dass eine neuerliche Trump-Regierung versuchen könnte, den Dollar abzuwerten, um ausländische Wettbewerber kaputtzumachen und mehr Arbeitsplätze in den USA zu schaffen. Weitere Sorgen betreffen die Stabilität des Finanzsystems und die Bemühungen von US-Rivalen, den Dollar abzulösen.

Gold war das Einzige, was blieb

Die Suche nach goldener Stabilität ist daher eine Reaktion auf eine Welt im Fluss. Sie spiegelt einen zunehmenden Glauben wider, dass eine neue politische Ordnung im Entstehen ist. Die Neue Entwicklungsbank („Brics-Bank“) mit Sitz in Shanghai bemüht sich aktiv, den Dollar durch eine synthetische Währung zu ersetzen, und immer mehr Länder versuchen, der Brics-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika plus Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) beizutreten. Sie betrachten den Dollar heute als Äquivalent des Silbers des späten 19. Jahrhunderts: eine überholte hegemoniale Währung.

Vor einem Jahrhundert, als die Welt nach dem Ersten Weltkrieg zum Goldstandard zurückkehrte, beschrieb John Maynard Keynes das Metall als „barbarisches Relikt“, weil es die Währung von Konflikten sei. Wenn wieder politische Stabilität einkehrt, wird der Goldpreis fallen. Bis dahin haben Regierungen und Notenbanken, die in Gold investiert haben, sich in einer unsicheren Welt etwas Sicherheit erkauft.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
© Project Syndicate 1995–2024

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

privat

Harold James (* 1956 in Bedford) ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Universität Princeton. Zahlreiche Publikationen, zuletzt: „Seven Crashes: The Economic Crises That Shaped Globalization“ (Yale University Press, 2023).

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