Interview

„Unternehmen sind enorm anpassungsfähig“

Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS).
Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS).Clemens Fabry
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IHS-Chef Holger Bonin über das europäische Lieferkettengesetz und seine Auswirkungen auf heimische Unternehmen und globale Handelsbeziehungen.

Das europäische Lieferkettengesetz wurde nach vielen Änderungen am 15. März von den EU-Mitgliedsstaaten abgesegnet. Am 24. April stimmte dann auch das Parlament für den Entwurf. Das Lieferkettengesetz, offiziell die Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht, gilt nun für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro. Mit der Richtlinie sollen die Menschen- und Arbeitnehmerrechte besser geschützt und Klimaschutzmaßnahmen etabliert werden. Unternehmen sollen Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen.

Herr Bonin, Sie haben sich bereits mehrmals öffentlich gegen das Lieferkettengesetz geäußert. Aber der Grundgedanke ist ja eigentlich wünschenswert, oder?

Holger Bonin: Die ethischen Ziele, die damit verbunden sind, sind absolut richtig. Aber es geht ja nicht mehr nur um die Frage, wie sinnvoll die Regulierungen sind. Für Unternehmen, die viele Lieferkettenbeziehungen unterhalten, wäre eine mögliche Reaktion auf die Richtlinie, die Zahl an Lieferanten zu reduzieren. Damit spare ich Prüfrechte und muss weniger kommunizieren. Und worauf konzentriere ich mich dann? Auf die Bereiche der Welt, wo die Institutionen sowieso stärker sind. Damit schade ich möglicherweise Unternehmen aus Ländern, wo die Institutionen nicht so stark sind. Dabei wissen wir aus der Forschung, dass exportierende Unternehmen aus diesen Ländern, mit denen bereits Geschäftsbeziehungen bestehen, in der Tendenz schon bessere Strukturen aufweisen.

Zur Person

Holger Bonin ist deutscher Wirtschaftswissenschaftler und seit Juli 2023 Direktor am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Er beschäftigt sich bei seiner Arbeit vor allem mit der Wirksamkeit sozialpolitischer Instrumente.

Was ist dann die Konsequenz für Exportunternehmen im Ausland?

Ich kaufe als Unternehmen dann eher in Ländern, wo ich auf jeden Fall sicher bin. Also wenn ich in Frankreich kaufe, dann ist es sicherer, als wenn ich das in einem Entwicklungsland mache. Ich frage dann nicht mehr nach einzelnen Unternehmen, sondern fokussiere mich auf Länder, in denen ich sowieso hohe Standards erwarte. So sind auch Unternehmen mit guten Standards in Ländern mit nicht so guten Standards betroffen. Damit ist am Ende niemandem geholfen, denn wenn sich das verlagert, dann bleiben dort die Entwicklungsschritte aus oder man schafft sogar Entwicklungsnachteile. In einem unterentwickelten Schulsystem, gibt es oft keine Alternative zu Kinderarbeit, wenn die Schule schon sehr früh endet. Wenn sich Export-Lieferketten aus diesen Ländern wegbewegen, wird es schwieriger mit dem wirtschaftlichen Evolutionsprozess, der gebraucht wird um Kinderarbeit abzuschaffen.

In den Oberösterreichischen Nachrichten behaupten Sie, Europa setze sich mit dem Gesetz einem Wettbewerbsnachteil aus. Welche Auswirkungen wird das Gesetz auf die europäische Wirtschaft haben?

Wenn wir in den internationalen Bereich schauen, müssen wir anerkennen, dass es andere Weltregionen gibt, die offensichtlich die Standards nicht so hochhalten wie wir. Dementsprechend werden ihre Unternehmen nicht mit Kosten und Risiken, die mit diesem Gesetz verbunden sind, belastet. Das ist für europäische Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil. Wenn ich diesen vermeiden will, dann könnte ich versuchen, mein Unternehmen aus Europa auszulagern. Ich glaube nicht, dass es diese Verlagerungen im großen Stil geben wird, nur weil es in Europa ein Lieferkettengesetz gibt. Das Problem verschränkt sich mit anderen Themen, wo Europa ebenfalls Nachteile hat. Eine weitere Belastung könnte eventuell das Fass zum Überlaufen bringen und Unternehmen zu einem Standortwechsel treiben.

Ist es nicht Europas Pflicht, sich für ein Wirtschaftssystem einzusetzen, das Menschenrechte und Klimaschutz hochhält?

Ja, da will ich auch gar nicht widersprechen. Es geht nicht darum, das Ziel in Frage zu stellen, sondern über das Instrument nachzudenken. Ich glaube, dass man diese Ziele effizienter und auch klarer erreichen kann, zum Beispiel über Listen mit positiven und negativen Unternehmen. Das könnte man behördlich aufstellen, dann muss nicht jedes einzelne Unternehmen selbst eine Liste erstellen. Man könnte eine unabhängige, zuverlässige Stelle einrichten, die dann Zertifikate oder Ähnliches anbietet. Wenn man diese Information zur Verfügung stellt, kann in die Liste geschaut werden, um zu erfahren ob der Lieferant ein gutes Unternehmen ist. Die negative Liste macht dasselbe, nur andersrum.

Wir haben über Listen gesprochen. In den Oberösterreichischen Nachrichten befürworten Sie Entwicklungshilfe in kritischen Zulieferer-Ländern. Wie kann man sich das vorstellen?

Ich glaube, dass wir in Europa aktiver werden müssen. Es geht um eine Entwicklungspolitik auf Augenhöhe, also darum, die Länder zu entwickeln. Vor allem China betreibt das im Moment strategisch, aber durchaus mit einem bösen strategischen Ziel, nämlich um Abhängigkeiten zu schaffen. Europa muss mit größeren Ressourcen reingehen.

Von Europa wird seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe geleistet, das funktioniert nur nicht so richtig. Wie soll die Entwicklungshilfe jetzt bessere Effekte erzielen?

Wir müssen Schritte machen, die nicht primär nach den ethischen Standards fragen. Ich rede über eine ganz konkrete Infrastrukturförderung und über ein Kooperationsabkommen auf Augenhöhe. Es braucht Maßnahmen, die die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder nach vorne holen.

Das heißt, sie fänden es am effektivsten, wenn die Wirtschaft in den Entwicklungsländern gestützt wird und die Staaten sich dann selbst reformieren?

Ja, sie brauchen das. Der Bismarcksche Sozialstaat wurde auch nicht aus ethischen Gründen heraus gegründet. Da ging es um die Sicherung des Faktors Humankapital.

Der Gesetzesentwurf wurde am 15. März angenommen. Dabei wurden die Grenzen nach oben korrigiert, was viele Unternehmen aus dem direkten Wirkungsbereich der Richtlinie nimmt. Welchen Unterschied macht diese Veränderung?

Wie genau die Abschwächung eigentlich funktioniert, wissen wir ja gar nicht. Weil die Effekte über die Lieferantenbeziehung selbst nachwirken. Insofern ist die effektive Reichweite viel größer, als diese Grenzen vermuten lassen. Ich halte das eher für ein Instrument der Politik. In politischen Verhandlungsprozessen versucht man sich an irgendwelchen Größen und Klassen entlangzuhanteln, aber das löst das eigentliche Problem nicht. Egal wie viele Unternehmen direkt von der Regel betroffen sind, durch die Lieferkettenbeziehungen die sie unterhalten wirken die Vorgaben trotzdem in einen viel größeren Bereich der Wirtschaft hinein.

Das Lieferkettengesetz könnte schon Ende Mai durch sein. Wie können europäische Unternehmen dann mit dem Wettbewerbsnachteil umgehen?

Wie sie immer damit umgehen. Die Welt geht nicht unter. Märkte und Unternehmen sind enorm anpassungsfähig. Im Verhältnis zu dem Energiepreisschock oder dem demografischen Wandel ist das eine kleine Belastung. Auch das Lieferkettenzerbrechen in der Pandemie hat unglaublich viel Hirnschmalz in den Unternehmen ausgelöst, wie Lieferketten gestaltet werden können und wie mit unzuverlässigen Lieferanten umgegangen werden soll. Das Lieferkettengesetz ist nur ein Baustein da drin. Wirtschaftsvertreter sprechen gern von einem neuen Bürokratiemonster, aber viele der wirtschaftlichen Probleme dieses Standorts sind viel fundamentaler. Fragen wie: Wie kriegen wir eigentlich unsere Fachkräfteausbildung vernünftig auf den Platz oder wie gehen ich mit der alternden Gesellschaft um?

Information

Styria Ethics. Die Berichte auf diesen Seiten wurden von den Journalismusstudierenden Fabian Enzi, Jakob Grill und Fabian Rostek der FH Joanneum Graz im Rahmen des Styria Ethics-Programm erstellt. Diese entsteht heuer in Kooperation mit der Dialogreihe „Geist und Gegenwart“, die am 15. und 16. Mai zum Thema „Europas Regionen. Zukunft gestalten.“ stattfindet.

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