Gastkommentar

Mehr als ein schlechter Scherz

Antisemitismus. Der Farbbeutelanschlag auf Ministerin Edtstadler beweist, dass der antiisraelische Protest Wien erreicht hat.

Kein Terroranschlag, nur ein Farbbeutel aus dem Eimer. Dennoch: Wer aus nächster Nähe mitten am Tag in Wiens Innenstadt einen „Anschlag“ sieht, steht erst einmal unter Schock in diesen schwierigen Zeiten. Zu stark hat sich die Möglichkeit von Gewaltakten in unser Gedächtnis eingeprägt. Hybride Kriege und politisch-motivierte Kriminalität beunruhigen uns. In Deutschland wurde gerade der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl von vier Unbekannten beim Plakate kleben schwer verletzt. Übergriffe auf Politiker häufen sich.

Vor der Akademie der Wissenschaften mitten in der Innenstadt hatte am Montag um 9.15 Uhr früh ein bekannter Aktivist die Verfassungsministerin Karoline Edtstadler im Visier, mit Kunstblut. Die Ministerin eröffnete wenige Minuten später die renommierte und wichtige Antisemitismuskonferenz. Der Aktivist, selbst Mitglied der jüdischen Gemeinde in Wien, ist kein Unbekannter. Er blockierte im Jänner 2023 als radikaler Klimaschützer, Angehöriger der „Letzten Generation“, eine Straße in Wien. Sein laut geschriener Protest richtete sich „gegen die Normalisierung eines Völkermordes“ und für einen „Waffenstillstand“ im Gazastreifen. Nachdem er sich auf den Boden warf, wurde er von der ohnehin bereitstehenden Polizei abgeführt.

Mit solchen Aktionen tut man der Ernsthaftigkeit keinen Gefallen. Schließlich häufen sich antisemitische Vorfälle nicht nur in Wien, sondern in ganz Europa. Wie die Europäische Kommission bilanziert: „Europas Juden leben wieder in Angst. Wir beobachten das Wiederaufleben an antisemitischen Vorfällen und antisemitischer Rhetorik innerhalb der Europäischen Union und weltweit: Molotowcocktails werden auf eine Synagoge in Deutschland geworfen, Judensterne auf öffentliche Gebäude in Frankreich, ein jüdischer Friedhof wird verwüstet in Österreich, jüdische Läden und Synagogen werden attackiert in Spanien, während Demonstrierende mit Hassparolen gegen Jüdinnen und Juden skandieren.“

Mit dem 7. Oktober 2023 hat der Terrorangriff der Hamas auf Israel die bestehende, eingangs skizzierte „Weltunordnung“ auf barbarische Weise verstärkt und einen Krieg eingeleitet – mit direkter Wirkung auch auf uns. Der Antisemitismus greift um sich, im Islamismus, im Rechtsextremismus und eben auch im Linksextremismus. Darauf wies Ministerin Edtstadler erst kurz vor der Konferenz hin. Vielleicht sollte sie auch deswegen „eingeschüchtert“ werden?

Gräben brechen auf

Wir wissen: Je länger der israelische Feldzug gegen die Hamas dauert, desto mehr Gräben brechen in Europas Gesellschaften auf. Die merkwürdigen Äußerungen der Klima-Ikone Greta Thunberg zeigen etwa, wie stark pro-palästinensische Auffassungen lobbyiert und unterstützt werden. Es kommt ja schon seit Wochen in vielen Ländern und vor allem an Universitäten zu größeren Protestveranstaltungen. Sie richteten sich aber nur zu geringen Anteilen gegen die Hamas, sondern mehrheitlich gegen die von Israel erwarteten Reaktionen. Die Aktion von Wien fügt sich hier leider ein und fällt vermutlich nicht zufällig zusammen mit der Errichtung eines „Pro Palästina“-Protestcamps auf dem Unicampus im Alten AKH. Natürlich ist Protest in einer Demokratie grundsätzlich erwünscht und legitim, doch sollten die Motive und die Art und Weise des „Wie“ kritisch hinterfragt werden. 

Zum Autor:
Dr. Florian Hartleb (*1979) ist Forschungsdirektor beim Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention, wo er gerade eine Studie zum Anstieg des Antisemitismus herausgegeben hat.

Hinweis:

Gastkommentare und Beiträge von externen Autorinnen und Autoren wie dieser hier müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.