Gastkommentar

Bäume am Michaelerplatz? Was dagegen? Durchaus!

(c) Peter Kufner
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Warum die Begrünung des Michaelerplatzes in Wien ein Ärgernis ist.

Der Michaelerplatz wird bepflanzt. Es wächst der Widerstand. Sind die Gegner der Neugestaltung bloß Konservative, die versuchen, den Status quo als Endpunkt der historischen Entwicklung zu zementieren? Gerade der Platz zwischen Graben, Looshaus und Hofburg bezieht seine Bedeutung nicht aus Kontinuität, sondern im Gegenteil aus Brüchen, Zeitsprüngen und Gegensätzen. Zahlreiche Schichten von Geschichte, vom Alten Rom bis zur Postmoderne, überlagern einander. Sie alle sind Zeichensetzungen jeweils neuer Regime gewesen. Und jetzt kommt halt das nächste, das grüne Regime. Was dagegen? Durchaus!

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Historische Plätze sollten nicht nur deshalb bewahrt werden, weil sie von so vielen Menschen aus Wien und aller Welt als wunderschön empfunden werden, sondern auch weil sie ein Stück Geschichte erzählen. Weil sie als Kontrastmittel zur Gegenwart für unsere Selbsterkenntnis notwendig sind. Und weil sie als Denkmäler zu uns „Denk mal!“ sagen.

„Denk mal!“

Sie halten für uns fest, was Urbanität einst meinte und welche kulturelle Bedeutung das Phänomen Stadt bisher hatte. Die Stadt wurde als ein gegen das Land gerichtetes Projekt gegründet. Gegen die einst lebensgefährliche, von wilden Tieren beherrschte Natur, gegen die Räuber, Feinde und Landstreicher, gegen die Armut und den Schmutz. Steinboden statt Erde: Dieser ermöglichte Schuhe, die beim Betreten einer Wohnung anbehalten werden können. Bis heute erkennt man vom Land zugezogene Wiener daran, dass sie von Gästen erwarten, im Vorzimmer ihre Schuhe auszuziehen.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Ordnung der Pflanzen: In der Stadt gab es nur Zierpflanzen, Nutzpflanzen waren ländlich konnotiert und daher für das Ideal von Urbanität ein kulturelles Tabu. Mit der grünpolitischen Verländlichung der Stadt wird deren kulturhistorische Bedeutung, wird der Sinn des urbanen Gedankens selber demontiert. Saure Wiese statt grüner Rasen. Miniackerbau am Donaukanal vis-à-vis dem Schwedenplatz. All das sind Demonstrationszonen für den antiurbanen, antizivilisatorischen und antikulturellen Furor jener naturreligiösen Gemeinde, deren initiatorisches Sinnbild ab 1972 die Schafherde im Waldviertel war, aus deren Wolle sich Städter unförmige Kratzpullover selbst strickten. Man nannte sie auch „die Müslis“ oder „die Selbstg‘strickten“. Diese ruralen Wurzeln werden nun innerstädtisch reinszeniert. Warum justament am Michaelerplatz, wo Kaisers Haus und Adolf Loos im „Wien um 1900“ sich identitätsstiftend zusammenfanden?

Denkmalsturm und Denkmalsturz

Es geht um Denkmalsturm und Denkmalsturz. Es geht gegen den Grundgedanken der „urbanen“ Stadt, Bollwerk und Siegesmonument gegen die Natur zu sein. Erstrebt wird eine Umkehr der Bewegungsrichtung der gesamten bisherigen Zivilisation: Von einer Absetzbewegung von der Natur zu einer Rückkehrbewegung zur Natur (was immer man sich darunter vorstellen mag).

Für die Gründungsidee der Grünen ist das Phänomen Stadt mit seinen Implikationen des Urbanen und Kultivierten, nicht zuletzt auch des Kapitalträchtigen und herrschaftlich Mächtigen, ein Übel und Ärgernis. Deshalb muss die eigene Machtergreifung am Zentralpunkt der Selbstrepräsentation der Stadt inszeniert werden. Am Denkmalplatz setzen nun wir uns ein Denkmal. Wir, die grün Denkenden aller Parteien.

Wo Stadt war, soll Land werden. Der Stadtboden, einst steinerne Plattform und kultivierende Hebebühne gegen Dreck und Morast, soll „entsiegelt“ werden. Über das böse steinerne Monster Stadt soll eine gute grüne Decke gelegt werden. Urban Gardening meint nicht etwa städtische Gärten, sondern landwirtschaftliche Anpflanzung.

Dass der Pflanz am Michaelerplatz reine Symbolpolitik ist, sieht man daran, dass aus ökologischen Gründen in Zukunft nicht mehr auf dem Land, sondern in der Stadt gelebt werden sollte. Landleben ist angesichts der „Klimakatastrophe“ energie- und verkehrstechnisch nicht mehr verantwortbar. Folglich kann rustikales Grün nur noch als Sinnbild Verwendung finden. Als solches ziert es Plastikverpackungen von Molkereiprodukten und denkmalgeschützte Zentren von im grünen Geist regierten Metropolen.

So wie Hündchen gern Straßenecken markieren, lieben es marketinggetriebene Politiker, Stadtplätze mit ihrer Farbe zu bedecken. Wir erinnern uns an das Umfärben rotbrauner Radwege in grüne. Oder an den Missbrauch öffentlicher Anlagen wie Fußgängerampeln als Werbeflächen für politische Botschaften. Letztere finden auf Plakatwänden ihren richtigen Platz, wo Parteilichkeit und Reklamezweck transparent bleiben. Sie als kommunale Einrichtungen zu tarnen, ist Schleichwerbung und eine nicht widmungsgemäße Verwendung von Steuergeld.

Es gibt in Wien genügend Plätze, auf denen Bäume und kühlende Wasserspiele vorteilhaft wären. Ob am Michaelerplatz das Weltkulturerbe gefährdet ist, wird sich weisen. Gut möglich, dass die Unesco dem Stadtkern keine geringere Bedeutung einräumen würde als dem Eislaufverein.

Politik hat gelernt, Böden als Medien zu nutzen

Doch seit Politiker gelernt haben, Böden als Medien nutzen zu können, fällt ihnen offenbar schwer, die Ablehnung nahezu aller relevanten Institutionen und Experten zu berücksichtigen. Wie justament pflastern sie ihre erdigen Ideologiehäufchen genau dort hin, wo sich die meisten Menschen gerade deshalb aufhalten, weil sie in eine traditionelle Welt eintauchen können bzw. konnten. Eine Welt, in der sie bisher derlei Verschandlungen entronnen waren.

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Der Autor

(privat)

Dr. Wolfgang Pauser (* 1959 in Wien) ist Essayist. Er studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Rechtswissenschaften, begann seinen Weg im „Spectrum“ der „Presse“, er schrieb von 1994 bis 2004 Kolumnen zahlreiche Essays für „Die Zeit“. Literaturpreis für Essayistik der Stiftung Niedersachsen (1998), „Dr. Pausers Werbebewusstsein“ (Verlag Brandstätter 1995), „Dr. Pausers Autozubehör“ (Hanser 1999).

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